21.09.05

Katrin Wiegand

Tagebuch – Reloaded

23.08.

Mein Text auf kolumnen.de seit gestern online. Erwarte stündlich E-Mails von Spiegel-, Zeit- oder FAZ-Redakteuren.

24.08.

14.00 Uhr: Aufgewacht.
14:01 Uhr: PC angeschaltet.
14:09 Uhr: PC ist endlich hochgefahren.
14:15 Uhr: E-Mail-Postfach ist leer. Handbuch »Positive Thinking« bei Amazon bestellt.

25.08.

11:09 Uhr: PC nach drittem Versuch endlich hochgefahren. Plane, die zu erwartenden Autorenhonorare in neue Hardware anzulegen.
11:10 Uhr: Immer noch keine E-Mail.
12:21 Uhr: Neue E-Mails: Null.
13:03 Uhr: Anhaltende Leere des Postfachs. Beschließe, Bestände an Alkoholika aufzufüllen.

26.08.

21:12 Uhr: Possfach wr leeer. Flschen jezz auch.

27.08.

12.02 Uhr: Aufgewacht. Kopf scheint auf unerklärliche Weise zwischen zwei Presslufthammer geraten zu sein.
18.39 Uhr: Erneut aufgewacht. Presslufthammer verschwunden. Dafür Geschmack im Mund einem toten Maulwurf nicht unähnlich.

28.08.

10.14 Uhr: Starre enttäuscht auf leere Mailbox. Beginne, GMX zu misstrauen.
14:39 Uhr: Freunde angerufen mit der Bitte um Test-Mails, zwecks Kontrolle des Mail-Providers.
17:10 Uhr: 25 neue E-Mails im Postfach, alle mit der Betreffzeile: »Test«! Muss Freundeskreis reduzieren.

29.08.

Endlich E-Mail erhalten. Ein gewisser »flslü9widsyy« bietet mir potenzsteigernde Mittel an. Auch nach mehrmaligem Lesen keine versteckte Andeutung bezüglich eines Autorenvertrags erkennbar.

30.08.

Zweite Kolumne von mir online. Gehe wahllos in Chaträume und poste Link zu kolumnen.de.

31.08.

234 neue Mails im Postfach. Alle im Spam-Ordner. Notiz: Bei Anmeldung zu Chaträumen demnächst falsche E-Mail-Adresse angeben!

01.09.

16:48 Uhr: Positives Feedback auf meine Kolumne. Räume Regal um, Pulitzer-Preis soll nicht neben Kontoauszüge-Ordner stehen.
17:12 Uhr: Bei meiner Mutter für das Feedback bedankt.

02.09.

Anwaltliches Schreiben erhalten. »zuckerschnute76« strengt Verleumdungsklage gegen mich an. Biete verbliebene drei BBF-Aufkleber als Vergleich an.

03.09.

Turbulenten und anstrengenden Tag hinter mich gebracht. Ausgefüllt mit An-die-Decke-starren, Katzenhaare-vom-Hemd-zupfen und Kugelschreiber-Auseinandernehmen.

04.09.

Chefredakteur von kolumnen.de meine Festnetz- und Mobilrufnummer mitgeteilt, zur Weitergabe an eventuell anfragende Redakteure.

05.09.

Erwäge Zusage auch bei Anfragen von Focus, Stern oder Brigitte.

06.09.

Chefredakteur von kolumnen.de meine Kontoverbindung gemailt. Möchte Gönnern, die die Anonymität vorziehen, gerne entgegenkommen.

07.09.

Heute in der U-Bahn Zeuge folgenden Handy-Gesprächsauszugs geworden: »Ja, ich bin auf dem Weg zum Sporteln. Wie war denn dein Burzeltag noch?« Bereite Unterschriftenaktion vor für die Wiedereinführung der Folter bei Sprachverbrechen.

08.09.

Chefredakteur von kolumnen.de meine Anschrift gemailt. Möglicherweise bevorzugen Kulturredakteure den konventionellen Postweg.

09.09.

Chefredakteur von kolumnen.de antwortet nicht mehr auf meine E-Mails. Versuche, über die Auskunft die Telefonnummer zu ermitteln.

10.09.

Kontoauszüge geholt. Möchte nicht darüber sprechen.

11.09.

Überlege, eventuelle Anfragen von Bild der Frau, Praline oder der Bäckerblume zumindest wohlwollend zu prüfen.

12.09.

Paket von Amazon erhalten. »Positive Thinking« komplett durchgelesen. Hoffe, bald zu einem Geburtstag eingeladen zu werden, verpacke »Positive Thinking« schon vorsorglich in Geschenkpapier.

13.09.

12:03 Uhr: Auf kolumnen.de neue Kolumne entdeckt. Ein gewisser Antoine Monot schreibt über meine Kolumne.
12:04 Uhr: Lese Kolumne von Monot ein zweites Mal.
12:06 Uhr: Versende Link zu Monots Kolumne an gesamtes E-Mail-Adressbuch.

14.09.

Weitere E-Mail-Adressen flüchtiger Bekannter herausgefunden. Versende Link auch an diese.

15.09.

17:45 Uhr: Überlege nach zwölftem Lesen von Monots Kolumne, wie der Vergleich mit Bridget Jones aufzufassen ist. Beschließe, ihn als Kompliment zu verbuchen.
17:57 Uhr: Vor dem Spiegel vergeblich nach Ähnlichkeit mit Renee Zellweger gesucht.
19:33 Uhr: In alten Fotoalben vergeblich bei Ex-Freunden nach Ähnlichkeit mit Hugh Grant oder Colin Firth gesucht.
19:35 Uhr: Depression.

16.09.

11:22 Uhr: Versucht, in altem Langenscheidt Französisch-Wörterbuch korrekte Aussprache von »Antoine« zu ermitteln.
18:13 Uhr: Zwecks Wiederauffrischen der Lautschrift-Regeln Kiste mit alten Schulheften hervorgekramt; festgelesen. Deutsch-Aufsatzhefte aus der 5. Klasse gefunden. Eigenes frühes Genie erkannt.
18:36 Uhr: Versuche, alte Schulhefte in Klarsichtfolie einzupacken, erwarte enorme Wertsteigerung nach Erhalt des Literatur-Nobelpreises.
18:55 Uhr: Notiz: Keine Klarsichtfolie mehr bei Aldi kaufen!

17.09.

Vorige Kolumne von Monot gelesen. Erwartungsgemäß für gut befunden. Literarisches Verständnis immerhin bereits bewiesen. Erwäge, ihm aus Anerkennung Buchpräsent zu schicken.

18.09.

Verpacktes »Positive Thinking« vergeblich gesucht. Monot bleibt ein Meilenstein der Sachbuch-Geschichte erspart.

19.09.

Literarisch indifferenter Bankmitarbeiter verweigert Kreditzusage. Will unzweifelhaft bald kommenden, hochdotierten Autorenvertrag nicht als Sicherheit anerkennen. Erst mal keine Zeit mehr für Tagebucheinträge, muss Geld verdienen. Welt wird schon sehen, was sie davon hat.

Lesen Sie auch Katrin Wiegands Kolumne »Liebes Tagebuch«