25.05.06

Katrin Wiegand

Von der Unmöglichkeit, einen Karton zu öffnen oder:
Warum kann ich eigentlich keine kurzen Kolumnen schreiben?

Beim Schreiben einer Kolumne hält man sich nicht immer hundertprozentig an die Wahrheit. Mal gibt man die Erlebnisse eines Anderen als die eigenen wieder (bei den coolen Sachen), oder umgekehrt (bei den peinlichen Sachen), man benutzt die Stilmittel der Übertreibung, des geflissentlichen Weglassens oder des (natürlich immer der Geschichte oder der Pointe dienend) Hinzufügens. Beim folgenden Text trifft all das ausnahmsweise nicht zu. Das alles ist genau so passiert, und es ist mir passiert. Na gut. An einer Stelle weicht der Text von der Realität ab, aber Sie werden schnell merken, welche Stelle ich meine.

Es ist schon einige Zeit her, da wollte ich mir einen neuen Videorekorder kaufen. Das heißt, eigentlich war ich mit meinem bisherigen Gerät sehr zufrieden, bis auf die plötzlich aufgetretene Unart, dass es meine Videokassetten mehr oder weniger schredderte. Nun war mein altes, innig geliebtes Gerät ein Modell einer zumindest dem Namen nach deutschen Firma, nennen wir sie einmal »Grantig« (ich möchte mich nicht dem Verdacht der Schleichwerbung aussetzen), und es hatte eine spezielle Funktion, die ich im Lauf der Zeit sehr zu schätzen gelernt habe. Schiebt man ein beliebiges Videoband in den Rekorder, kann dieses Gerät minutengenau anzeigen, an welcher Stelle das Band steht, zum Beispiel bei, sagen wir mal, zwei Stunden und 48 Minuten.

Der Plan war also, ein Gerät zu erstehen, dass eben jenes Feature auch besitzt. Die Fragen, die ich an das Fachpersonal eines Elektrogroßhandels zu stellen hatte, waren also a) hat jedes Gerät der Firma Grantig diese Funktion? Und b) haben auch andere Firmen Geräte mit dieser Funktion? So weit, so simpel. Dachte ich.

Nichts Böses ahnend begebe ich mich also in einen nahegelegenen Elektrofachmarkt, nenne wir ihn mal »Pluto«. (Die Namensänderungen der Märkte haben nichts mit möglicher Schleichwerbung zu tun, in diesem Fall habe ich einfach Angst vor Verleumdungsklagen.) Dort suche ich nun einen Fachmann. Allein das ist schon ein schwieriges Unterfangen. Man weiß genau, es gibt Personal in solchen Läden, aber es zu finden lässt Assoziationen an Ostern oder Schnitzeljagden aufkommen. Schließlich steht doch irgendwann ein junger Mann vor mir, der vom geschätzten Alter her theoretisch mein Sohn sein könnte. Aber, keine Vorurteile gegenüber der Jugend, also meine Eingangsfrage: »Kennen Sie sich mit den Videorekordern aus?« Darauf folgt die Standardantwort (die ich in naher Zukunft noch häufiger hören werde, und die ohne Ausnahme ein ums andere mal falsch ist): »Ja, natürlich.« Nach anderthalb Fragen von mir fängt der junge Mann an zu stottern und murmelt etwas von ».. mal den Kollegen holen«. Gut, denke ich, holt er also den mit Sicherheit kompetenteren Kollegen. Der Kollege lässt zunächst auf sich warten und bedenkt mich dann mit einem Blick, als sei ich eine neuentdeckte Fossilienspezies, weil ich offenkundig noch nichts von der Erfindung der DVD-Rekorder gehört habe. Trotzdem lässt er sich von mir geduldig noch einmal genau die gewünschte Funktion erklären, schaut mich dann mit großen Augen an und sagt, das wisse er nun auch nicht, welcher Rekorder das kann.

Stille.

Ich warte noch hoffnungsvoll, ob ihm ein rettender Einfall kommt, wie zum Beispiel »Ich schaue mal in der Bedienungsanleitung nach« oder »Wir haben hier einen im Angebot, der kann immerhin dies und jenes Tolles.« Aber nein. Nichts. Ein Präriestrauch weht von links nach rechts durch den Laden und aus der Ferne erklingt eine tragische Mundharmonika-Melodie. Ich komme zu dem Schluss, dass dieser Fachmarkt auf mein Geld nicht all zu viel Wert legt, und verabschiede mich. Es gibt ja noch andere Geschäfte.

Um es abzukürzen: ich habe in fünf verschiedenen Fachmärkten mein Glück versucht. Es lief jedesmal nach dem gleichen Schema ab: Verkäufer A behauptet, sich auszukennen, scheitert nach drei Sätzen von mir, Verkäufer B hat ebenfalls keine Ahnung. Leichte Abwandlungen dann in der Unterhaltung mit Verkäufer B: im Fachmarkt »Medienhalle« liest mir der angebliche Experte die kleinen Pappschildchen, die am Videorekorderregal kleben, laut vor, ist aber nicht in der Lage, mir eine der Abkürzungen, die darauf vermerkt sind, zu erklären. Danke, lesen kann ich selbst.

Von dieser Tatsache schwer beeindruckt empfiehlt er mir dringend den Kauf eines Rekorders der Marke »Japanischer Schniggeling«, ohne mir dafür einen hinreichenden Grund zu liefern, und auf meine gutmütige Frage nach der Anzahl der Videoköpfe des entsprechenden Gerätes erhalte ich die Antwort: »So vier bis acht.« (Bei der eigenständigen Recherche stelle ich fest, dass er nicht mal Unrecht hatte, die exakte Anzahl belief sich auf sechs.)

Mein absoluter Liebling ist der Fachmann in Markt »FürLaden«. Nach meiner genauen Erklärung, um was für eine technische Raffinesse es sich bei der von mir gewünschten Funktion handelt, ist seine patzige Antwort: »Also, ich hatte schon 20 Videorekorder, aber das konnte keiner!« Dabei sieht er mich mit einem Blick an der mir sagt: Du schlitzohriger Kunde schwindelst mich doch an! Ich bin einigermaßen verblüfft und entgegne: »Das mag ja sein, aber mein Gerät kann ebendies!« Daraufhin entgegnet der Verkäufer, der im Verkaufsseminar offenbar einige Stunden geschwänzt hat, pampig: »Wie soll das denn überhaupt gehen?« »Ich baue die Dinger nicht, guter Mann«, antworte ich gelassen, reiße einen Flachbildschirm vom Regal und verdresche den Verkäufer damit, bis er das Wort »Videorekorder« nicht mehr aussprechen kann, ohne dabei Blut zu spucken. Ich komme zu dem Schluss, dass die einzige Einstellungsbedingung für einen Elektrofachverkäufer die sein muss, dass man sich mit allem auskennen darf, nur bitte nicht mit den Geräten, die man verkauft.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin jederzeit bereit, mir Klagen und Gejammer über nörgelige Kunden, böse Vorgesetzte, Sparmaßnahmen der Geschäftsleitung und unzureichende Schulungen des Personals anzuhören. Aber wenn mich mein Schicksal nun mal in den Service-Bereich des Einzelhandels verschlagen hat, dann kann ich mich doch herablassen und dem Kunden, der mir signalisiert, dass er gern bares Geld gegen ein Produkt seiner Wahl im Geschäft lassen würde, doch einigermaßen freundlich und hilfsbereit entgegentreten?

Hat diese Geschichte ein Happy End, fragen Sie? Ja, sie hat. Nach fünf abgeklapperten Läden und zehn Verkäufern, ging ich mit dem Mut der Verzweiflung nochmal in den ersten Laden zurück, und hurra – traf auf einen mir bis dato unbekannten Elektro-Geräte-Engel, der als Erster (!) auf die Idee kam, mal einen Karton der Firma »Grantig« zu öffnen, und in der Bedienungsanleitung nachzusehen, ob das aktuelle Modell meine Wunschfunktion hatte.

Es hatte.

Ich war den Tränen nahe und überlegte kurz, ob ich den Mann adoptieren sollte. Die Tatsache, dass er etwa doppelt so alt war wie ich, hielt mich dann aber davon ab.

Wie es dazu kam, dass ich meinen Videorekorder doch erst einige Wochen später und noch dazu in einem völlig anderen Geschäft gekauft habe, und warum die Wörter »Ratenzahlung« und »Student« sich nicht in einem Satz vereinen lassen, davon erzähle ich Ihnen ein andermal. Ich muss jetzt noch schnell eine Sendung programmieren, es läuft eine Doku-Soap über einen Amokläufer in einem Elektrofachmarkt, das will ich nicht versäumen.

Ach so, ich bin Ihnen ja noch die Auflösung schuldig, an welcher Stelle im Text ich eine kleine Flunkerei eingebaut habe. Na, Sie werden mich sicher gleich durchschaut haben? Richtig: Natürlich bin ich absolut nicht und schon gar nicht jederzeit bereit, mir das Gejammer von nörgeligem Verkaufspersonal anzuhören.

Alles andere in diesem Text ist tatsächlich so passiert. Ganz ehrlich. Wenn Sie mir nicht glauben, versuchen Sie doch mal, sich beim Kauf eines Elektrogerätes intensiv beraten zu lassen. Aber machen Sie mich dann nicht verantwortlich, wenn Sie Star einer Doku-Soap werden.