27.11.06

Katrin Wiegand

Vom Main an die Spree – Teil 1: Tori Amos schwingt einfach höher.

Dies wird der zweite Umzug meines Lebens. Und das in meinem fast schon gesetzten Alter. Ich stelle fest: Selten muss man so viele Entscheidungen auf einmal treffen, wie ab dem Zeitpunkt, da man beschlossen hat, der Heimat den Rücken zu kehren und sich in fremde Gefilde zu wagen. Und wir reden hier nicht von Timbuktu oder der südlichen Mongolei, es geht lediglich um einen Umzug von Frankfurt/Main nach Berlin/Spree. Aber auch der stellt einen schon vor eine irrwitzige Anzahl von Fragen: Welche Wohnung kann ich mir leisten, welche der Wohnungen, die für mich erschwinglich sind, möchte ich dann auch noch haben, und welche wiederum davon gehören Vermietern, die mich haben wollen? Welchen neuen Telefonanbieter mit welchem Rundum-Sorglos-Paket wähle ich? Warum zum Teufel muss ich mir das erste mal im Leben Gedanken darum machen, woher mein Strom kommt? »Steckdose« war mir jahrelang Antwort genug! Und schließlich die großen Mysterien: Warum haben die Freunde und Bekannte all ihre Betriebs-Weihnachtsfeiern, Seminare und Urlaube genau an meinem Umzugswochenende? Und überhaupt: warum präsentiert sich der Ort, an dem man lebt, gerade dann in all seiner Schönheit, wenn man beschlossen hat, wegzuziehen?

Ich bin überzeugt: Hätte ich keinen Gedanken an einen Umzug verschwendet, hätten wir einen trüben, grauen November gehabt wie sonst auch immer. Aber so? Die Sonne scheint, die Bäume leuchten in allen Farben, auf dem Spazierweg im Feld kann ich auf der einen Seite zum herbstlich-bunten Taunus, auf der anderen Seite auf die in warmes Licht getauchte Skyline Frankfurts schauen, werde ausnahmsweise nicht von Kindern auf Laufrädern umgerannt, und kann mich des Gedankens nicht erwehren: Wieso will ich hier eigentlich weg?

Fragen nach der Zukunft stellen sich: Was erwartet mich in der Hauptstadt? Werde ich »da drüben« oder »da oben«, je nach Sichtweise, etwas vermissen? Nach einigem Nachdenken: Kreppel, vielleicht. Aber die heißen dort ja nur anders. Wie eigentlich? Krapfen? Pfannkuchen? Oder doch Berliner? Nein, wohl kaum. Was werde ich verpassen, wenn ich nicht mehr hier bin (»Hier« ist nicht speziell Frankfurt, Innenstadt, sondern alles, was ich persönlich zu »Hier« zähle, also grob geschätzt ein Umkreis von 50 Kilometern. Spannend wird es sein, wann mental aus dem jetzigen »Da« ein »Hier« werden wird.)

Werde ich am neuen Wohnort auch mit meinem Laptop in Cafés sitzen und Gesprächen am Nachbartisch zuhören, in deren Verlauf eine junge, überschwängliche Frau von sich gibt, die Musik von Tori Amos erinnere sie manchmal an Hexenverbrennungen? Dies ist übrigens als Kompliment gemeint, es geht noch eine Weile weiter, von »soviel höheren Schwingungen« und »Naturgewalten« ist die Rede. Ich lache still in meinen Salat, aber auf dem Heimweg kommen mir doch Zweifel – habe ich der jungen Frau Unrecht getan? Zuhause angekommen höre ich mal in ein paar Songs von Tori Amos rein und stelle fest, dass meine Tischnachbarin irgendetwas sehr exotisches in ihrem Grünen Tee gehabt haben muss.

Überhaupt, Grüner Tee. Ich kann ihn nicht ausstehen. Ich mag eigentlich überhaupt keinen Tee. Wenn ich Tee trinke, ist das ein relativ sicheres Zeichen für eine beginnende oder ausgebrochene Grippe. Und selbst dann darf es nur ein Früchtetee mit viel Honig darin sein. Na gut, Salbei-Honig-Tee geht auch. Trotzdem sitze ich wahnsinnig gern in diesen leicht alternativ angehauchten Cafés und Teestuben, wo es mehr Teesorten gibt als die Menschheit in ihrer Gesamtheit brauchen und verbrauchen kann. Allein durch das Blättern in der Teekarte und das Staunen über Kräuter aller Art, aus denen man anscheinend Heißgetränke bereiten kann, fühlt man sich selbst schon gesünder, ökologischer und rundum bewusster! Auch, wenn man dann eine Cola bestellt und von der Kellnerin mit nur leicht unterdrücktem Ekel bedient wird.

OK, ich denke, Berlin hat in dieser Hinsicht sicher auch einiges zu bieten. Auch generell. Hat man ja mal von gehört. Da soll schon was los sein. Sagen ja alle. Na gut, dann schaue ich mir dieses kleine, beschauliche Städtchen an der Spree doch mal genauer an.

Wenn Sie mal nach Berlin kommen, oder schon dort sind, und Sie sitzen dann in einem Café zufällig neben einer Frau mit Laptop, die verzweifelt versucht, »Kreppel« zu bestellen, dann tun Sie mir doch den Gefallen und unterhalten Sie sich über Tori Amos! Nicht, dass ich noch Heimweh bekomme!