26.10.14

Magdi Aboul-Kheir

Ausreichende Unzufriedenheit ist das Glück des kleinen Mannes

Als Gymnasiast überzeugte ich einst durch äußerst konstante Leistungen. Ich kam als ziemlich guter Grundschüler und wurde pro Jahr im Notendurchschnitt konstant um 0,3 schlechter. In der zehnten Klasse bestand mein Zeugnis dann quasi nur noch aus Vieren. Elterlicherseits erhielt ich schließlich einen Tritt, der mich auf ein anderes Gymnasium beförderte, wo ich dann konstant schlecht blieb, mich also, was die Dynamik betraf, sozusagen verbesserte.

Als Grund meiner schulischen Misere führte man damals meine Unreife und Faulheit an, doch ich kenne den wahren Grund: Herrn L., mein Englischlehrer in der sechsten Klasse. Bei ihm schrieb ich nämlich meinen ersten Vierer, den er mir mit einem Lächeln überreichte und vor allem mit diesen Worten: »Der Vierer ist der Einser des kleinen Mannes.« Das fand ich nett, und ich richtete mich entsprechend ein.

Eine weitere Ursache für meine Leistungen lag im Notensystem selbst. Eine Vier bedeutet schließlich »ausreichend«, und das klang in meinen Ohren wie: wirklich genügend, fein, brav – eine Art gemütliches Schulterklopfen. Eine Drei hingegen wird mit »befriedigend« übersetzt, und das machte auf mich eher den Eindruck einer Mäkelei, eines latenten Grummelns, eines miesepetrigen Nicht-Lobs. Und eine Zwei? So ein lapidares, tölpeliges, kurz angebundenes »gut«? Nein, das war den Mehraufwand an Lernen und Schleimen gewiss nicht wert, um vom wohlig-sympathischen »ausreichend« wegzukommen.

Übrigens fand ich auch, dass die simple Bezeichnung »ungenügend« (sechs) nicht so schlimm rüberkam wie das Urteil »mangelhaft« (fünf). »Ungenügend« haftet zwar etwas von einem Fehlschlag an, doch »mangelhaft« weckt sogleich Assoziationen von Gebrechen, Not und Schrecken. Aber dass ich mit dieser Sichtweise nicht auf Verständnis treffen würde, war mir selbst damals klar, und so machte ich mir lieber eine gute Zeit mit meinen Freunden, den Vieren.

Jetzt überspringen wir ein paar Jahrzehnte, heute habe ich selbst Kinder, und natürlich hat sich meine Perspektive ein wenig gewandelt. Zumal ich mittlerweile erfahren habe, dass es sogar eine Note namens »sehr gut« geben soll!

Solche Dinge gehen mir im Kopf herum, als ich in der Autowerkstatt meinen VW abhole und einen Zettel in die Hand gedrückt bekomme: »Ihre Zufriedenheit ist unser Ziel.« Möglicherweise, so steht da, werde ich demnächst zur Service-Qualität telefonisch befragt. Ich soll, so steht da, die Arbeit meiner Werkstatt gemäß einer Skala von »äußerst zufrieden« bis »unzufrieden« bewerten.

Nun denn, »äußerst zufrieden« entspricht laut diesem Handzettel: Erfüllung meiner Wünsche zu 100 Prozent. »Sehr zufrieden« bedeutet, meine Wünsche wurden zu 67 Prozent erfüllt. »Zufrieden« heißt, meine Wünsche wurden zu 33 Prozent erfüllt. Wurden meine Wünsche zu null Prozent erfüllt, soll ich »weniger zufrieden« angeben. »Unzufrieden« soll ich demnach sein, wenn meine Wünsche zu minus 33 Prozent erfüllt wurden. Kein Witz.

Das muss man erst mal sacken lassen.

Also noch mal: Wenn nur jeder dritte meiner Wünsche als Kunde erfüllt wurde, bin ich »zufrieden«. Und wenn keiner meiner Wünsche erfüllt wurde, darf ich »weniger zufrieden« sein, aber doch nicht gleich »unzufrieden« bitteschön.

Damit bin ich nur ausreichend zufrieden. Aber offenbar war ich in der Schulzeit schon viel weiter, als ich dachte.