04.03.04

Magdi Aboul-Kheir

Leere sehen, Stille hören

Da liegt seine Ersatzbrille. Mit den Bügeln nach oben. Wie griffbereit neben dem Computer, so als ob sie nur kurz abgelegt wurde und jederzeit wieder aufgesetzt wird.

Wir sind erschüttert, Ihnen mitteilen zu müssen, dass unser Kollege C. bei einem Autounfall ums Leben kam. Die Mail aus der Chefredaktion, von heute morgen.

Gestern morgen war C. noch unterwegs, in Afrika, im Urlaub. Ein Ausflug im Kleinbus. Schotterpiste, Reifenplatzer, Auto überschlägt sich.

Bei einem Busunglück in Namibia sind zwei Urlauber aus Deutschland und Schweden ums Leben gekommen und mehrere andere schwer verletzt worden, vermeldet dpa. Er ist aber nicht irgendein Urlauber. Er ist mein Kollege, politisch durchaus auch mal weiter entfernt, menschlich viel näher. Sein Schreibtisch direkt an meinen anstoßend, unsere Bildschirme zwei Meter auseinander, unsere Telefone einen Meter, ganz oft Augenkontakt zwischen dem Lesen, Tippen und Telefonieren.

Mitten aus dem Leben gerissen, schreibt der Ressortleiter gerade in seinem Nachruf. Mitten aus unserem Raum gerissen. Sein gelber Praxisduden steht auf dem Kopf, aber C. wird kein Wort mehr nachschlagen und sich über die Rechtschreibreform wundern. Eine Kassette liegt auf einem Hauspostumschlag, aber er wird das Interview nicht mehr abhören. Papiere, Stifte, eine Schere, die Maus auf einem blauen Mousepad. Und da liegt seine Ersatzbrille. Mit den Bügeln nach oben. Wie griffbereit neben dem Computer, so als ob sie nur kurz abgelegt wurde und jederzeit wieder aufgesetzt wird. Aber wer soll das tun?

Mitten aus dem Leben gerissen, das ist so eine Floskel, aber heute so spürbar, greifbar wahr.

Ich sehe C. Kaffee trinken, ich höre sein durchdringendes, ansteckendes Lachen.

An manchen Tagen kann man Leere sehen.

Man kann Stille hören.

Da liegt seine Ersatzbrille.