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»Bitte 38 zur Kasse, 38 bitte!« vorgetragen von Tom Wendt
(Bitte beachten Sie unseren Rechtevorbehalt).

22.03.05

Magdi Aboul-Kheir

Bitte 38 zur Kasse, 38 bitte!

Natürlich bin ich noch immer Mitte 30, wenn ich nun 38 werde. Schließlich habe ich mich mit 32 noch erfolgreich als Endzwanziger bezeichnet. Was heißt hier, ich gehe auf die 40 zu? Selbstverständlich gehe ich auf die 40 zu, aber das tut ein 18-Jähriger auch.

Als ich vor einer Woche abends nach Hause komme, höre ich meine Frau im Kinderzimmer fragen: »Wie alt ist Dana?«
»Drei«, flötet eine Kinderstimme. Prima, meine Frau bringt den Kleinen vernünftige Dinge bei. Zählen und so.
»Und wie alt ist Ida?«
»Eins.«
»Und wie alt ist Mama?«
Keine Antwort.
»Mama ist 25«, diktiert meine Frau. Ich höre wohl nicht recht. Meine Frau ist überhaupt nicht mehr 25, sogar noch weniger als ich.

Ich döse auf dem Sofa vor mich hin, im Fernsehen werden die Lottozahlen gezogen. 3, 8, 10, 11, 24, 29, Zusatzzahl 38. Ich schrecke auf. 38! Wieso ist das nur die Zusatzzahl? Muss man erst 50 werden, um die Lottoziehung 6 aus 49 in Ruhe betrachten zu können? Ich will nicht 50 werden. Das heißt, irgendwann schon, in 25 Jahren oder so. Jetzt will ich erstmal nichts von 40 wissen. 38 ist schon schlimm genug. Nein, ist es nicht. Es ist eine Lappalie, jawohl.

Wie jeder weiß, ist man so alt, wie man sich fühlt. Ich zum Beispiel fühle mich elend. Als ich 30 wurde, habe ich das weggesteckt, ohne mir die Haare zu raufen, die ich damals noch hatte. Mit 31 hatte ich zwar auch noch ein paar Haare, aber da brach es erstmals über mich herein, die Erkenntnis, wirklich älter zu werden. 31, 30, welchen Unterschied macht das schon? Einen gewaltigen. Zum einen heißt es eben nicht »31, 30«, sondern leider andersrum »30, 31«, und zum anderen war ich damit eindeutig ÜBER 30. Ein Thirtysomething. Ein Dreißigirgendwas.

»Ich würde nicht mehr gern 25 sein wollen«, sagte ein Freund kürzlich. ich auch nicht. Keinesfalls. Überhaupt nicht. Aber 26 wäre nicht schlecht.

»Wenn ich wissen will, wie ich in fünf Jahren aussehe, muss ich nur mein Passfoto anschauen.« Diesen coolen Spruch lasse ich mittlerweile schon jahrelang vom Stapel – und leider stimmt er immer weniger, weil ich meinem Passfoto immer ähnlicher werde. Ich sollte ein neues machen lassen. Andererseits weiß ich dann, wie ich mit über 40 aussehe, und wer will das schon? Ich bin ja noch deutlich unter dieser völlig überschätzten Hürde, die einen wirklich nicht sonderlich beschäftigen sollte. Abgesehen davon bin ich ja noch drunter. Sagte ich das schon?

Jetzt gewöhne ich mich erst einmal daran, dass ich bald nicht mehr 37 bin, was kein Problem ist, wenn man sich etwas zusammenreißt. Ich schreibe »38« auf Post-It-Zettel und klebe sie an Türen, Wände, an den Spiegel, und freue mich, wenn ich nicht erschrecke. Ich stehe morgens auf, tapere ins Bad, spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht, schaue auf, sehe mein müdes Gesicht, darüber »38« und brülle los.

Immerhin, ein Trost: Wir Menschen Jahrgang 67 sind kreative Köpfe, noch kraftvoll zubeißende Zeitgenossen. Ich schlage nach und stoße auf die Fastnochjugendlichen, die ebenfalls in diesem Jahr ihren wilden 38. feiern. Wigald Boning (macht uralte Witze). Julia Biedermann (kann sich noch irgend jemand an die erinnern?). Heinz-Harald Frentzen (ein Auslaufmodell, schon seit Jahren). Kurt Cobain (oh je). Kai Pflaume (danke, das genügt). Susan Stahnke (ich sagte, danke, das genügt). Anna Nicole Smith (ich ...). Leute von gestern.

Kein Wunder, dann man im Fußball mit 32 bei den »Alten Herren« kickt und mit 38 bei den »Senioren«. Jesus war mit 38 schon lange tot.

Wenigstens habe ich keine grauen Haare. Sie sind ausgefallen, bevor sie grau werden konnten. Ein Bärtchen habe ich, und das ist noch nicht grau. Oder doch? Ich stürze ins Bad, schaue in den Spiegel und schreie los, weil ich den 38-Zettel vergessen hatte. Zu allem Überfluss sind graue Haare im Bart.

Im Internet stoße ich auf eine Partnerschaftsvermittlung: Natalia, die attraktive, lebenslustige Ukrainerin sucht einen Mann in Deutschland. »Melde dich, wenn du zwischen 22 und 37 Jahre alt bist.« Bin ich für die nicht mehr gut genug? 38 ist Aussatz. Die Krätze in Zahlen. In zwei Jahren kann ich auf das Cover der Schreckenspostille »Ab 40«. Da sind sonst Ab-40-Jährige wie Ruth-Maria Kubitschek drauf. Ist das jetzt meine Liga?

Ich muss etwas trinken. Warum steht auf der Asbach-URALT-Flasche 38? Ach so, 38 Prozent. Raymond Moody, ein US-Psychiater, doziert, dass »38 für Männer ein sehr schwieriges Alter ist, weil dies der Wendepunkt des Lebens ist; man kann auch sagen, die Midlife Crisis beginnt.«

Midlife Crisis? Ist schon Bergfest? Die Lebenserwartung für einen deutschen Mann beträgt 74,4 Jahre. Wir rechnen: Die Midlife Crisis müsste, wenn sie ihren Namen zu recht trägt, zur Halbzeit stattfinden: 37,2 Jahre - Hilfe, ich habe meine zweite Lebenshälfte betreten, ich bin, statistisch betrachtet, dem Tod näher als der Geburt. Mit jedem Tag nähere ich mich Ersterem und entferne mich Letzterem.

Ein wahrhaft emotionales Thema. Im Supermarkt zucke ich zusammen, als ich mich zum Zahlen anstellte und eine Durchsage durch die Hallen dröhnt: »Bitte 38 zur Kasse, 38 bitte!«

Alles Blödsinn, es ist doch eine Frage der Perspektive: Ich bin bald ein 38 Jahre junger Mann. Google liefert für »38 Jahre junger Mann« sieben Treffer; für »38 Jahre alter Mann« 647 Treffer. Treffer, versenkt.