24.03.11

Magdi Aboul-Kheir

Melancholische Betrachtung über das Älterwerden inklusive alter Witze, die ich schon kannte, als sie noch neu waren, und genau darin liegt ja das Problem

Das ist so ein schlauer Satz: Im Leben gibt es nicht nur schwarz oder weiß. Das stimmt, vor allem, wenn man zum ersten Mal erkennen muss, dass die Haare grau werden.

Was soll das? Zuerst fallen einem die Haare aus, und dann werden sie auch noch grau? Das ist nicht fair und zudem unmöglich.

Noch so ein schlauer Satz lautet: Man soll sein Alter annehmen. Also gut, ich nehme es an – ich nehme also mal an, dass nun mit 44 alles vielleicht gar nicht so schlimm ist, und schaue in den Spiegel, aber der Spiegel zeigt nicht mich, sondern einen unbekannten gesetzten Herren, mit dem ich nichts zu tun haben will, aber ich wasche ihn halt mal. Ja, das ist ein uralter Witz, aber ich kenne ich noch aus den Zeiten, als er frisch und knackig war. So groß ist das Elend.

Ein dritter schlauer Satz: Man soll in Würde altern. Ich würde ja in Würde, wenn man sich dabei äußerlich nicht so sehr veränderte. Man mag das unreif nennen, aber das trifft nicht zu, denn die Reife ist gerade das Problem.

Und es hilft auch nichts, dem Typen im Spiegel wenigstens junge Klamotten anzuziehen. Denn leider sieht berufsjugendliche Kleidung schon bei vielen Mittdreißigern nur noch nach peinlichem Kostümball oder nach Thomas Gottschalk aus. Mit dem krampfhaften Versuchen, jünger zu wirken, ist es wie mit dem Muskeltraining: Irgendwann übersäuert man total und erreicht nur noch das Gegenteil.

Apropos Training. Auf dem Ergometer im Fitnessstudio steht, die ideale Herzfrequenz sei »Lebensalter minus 220«. In meinem Fall, also mit exakt 44 Jährchen, wäre das also ein Puls von minus 176. Die wollen, dass hier nur Leichen und Zombies trainieren.

Man sollte den ganzen Zahlenkram einfach weniger wichtig nehmen. 44 ist auch nur irgendeine zweistellige Zahl. Wie zum Beispiel 43 oder 38. Warum klingen die dann besser? Vielleicht sollte ich lieber, ganz im Gegenteil, nach nummerologisch positiven Bedeutungen meines neuen Alters suchen? Die 44 gilt Kabbalisten nämlich als »Meisterzahl«, und ich lerne: »Die 44 ist die potenzierte 8. Sie verfügt über ein sehr hohes Energiepotential und starke, vollständige geistige Kraft im Leben. Ein 44er ist ein Instrument, durch das Veränderung stattfindet und dadurch oft ein Vorbild für andere.«

Das klingt aber auch anstrengend. Nein, diese Esoterik ist nichts für mich. Ich werde einfach mit meinen Kumpels mal wieder so richtig um die Häuser ziehen und dabei das pralle Leben spüren. Wir haben das schon früher augenzwinkernd »Herrenabend« genannt, als wir noch keine Herren waren. Herrenabend, das klang so: Erstmal vernünftig Vorglühen, etwa bis 23 Uhr, dann durch die Kneipen und Etablissements ziehen, bechern, herumalbern, flirten, abhotten und auf jeden Fall Spaß ohne Ende haben, bis man im Morgengrauen ins Bett fiel, und zwar nicht allein, und wenn doch allein, dann aber nicht, ohne vor die Haustür gebrochen zu haben. Waren das Zeiten.

Wenn wir uns heute zum Herrenabend verabreden, treffen wir uns um 19 Uhr, getrunken wird alkoholfreies Bier, man spricht über den neuesten Frust im Büro und dann schauen alle gähnend auf die Uhr, weil es ja schon 22.30 Uhr ist und überhaupt, unterhalten kann man sich ja auch nicht, weil es überall so laut ist, und warum sind denn die ganzen Kinder noch auf und nehmen uns die Plätze weg?

Es gibt Grenzen: Trinkhallen und Clubs, die von Menschen besucht werden, die die eigenen Kinder sein könnten, sind aus Gründen der Selbstachtung zu meiden. Bleiben leider nur noch die Cafeteria im Seniorenstift und das Bahnhofscafé.

Der einzige Ausweg: ab zur Ü30-Party. Aber die Türsteher empfehlen uns, zwei Häuser weiter zu gehen, zur Ü40-Party. Das fehlte noch, dort sind doch nur 50-Jährige! Außerdem geht es auch da erst um 21 Uhr richtig los, und das rentiert sich dann doch kaum mehr.

Und jetzt? Frag die Maus, haben wir seinerzeit gesagt. Aber das bringt nichts. Die ist nämlich mittlerweile auch schon 40. Andererseits hat Leonardo mit 44 zwar das »Letzte Abendmahl« gemalt, aber eben noch nicht die »Mona Lisa«, Bruckner hat mit 44 gerade mal ernsthaft begonnen, Sinfonien zu schreiben, und als Jopi Heesters mit 44 die Bühnen unsicher machte, war seine spätere Ehefrau Simone Rethel noch nicht einmal geboren.

Natürlich bringt das Älterwerden Vorteile mit sich. Vor allem habe ich jetzt viel mehr Lebenserfahrung. Die Lebenserfahrung sagt mir zum Beispiel, dass ich automatisch immer uncooler werde. Wenn ich nach meinem Lieblingsfilm gefragt werde, will ich reflexartig »Blade Runner« sagen, aber dann muss ich oft »Kenn ich nicht« hören, und der Fragende war 1982 noch gar nicht geboren. Soll ich dann erklären: Das ist ein Science-Fiction-Film mit Harrison Ford, der im Jahr 2019 spielt? 2019 ist in acht Jahren, von wegen Science Fiction. Wie alt war Harrison Ford eigentlich, als er »Blade Runner« drehte? Erst 40! Es ist ein Jammer. Da kann ich gleich zugeben, dass »King Kong« mein wahrer Lieblingsfilm ist. Und zwar der von 1933.

»Jetzt ein Oldie aus den 90ern«, sagt der Radiomoderator, und ich frage mich, ob ich zum Sender fahren und die Scheibe einwerfen soll. Aber wahrscheinlich heißt es dann: Warum steht da ein alter, grauhaariger Mann vor unserem Studio und wirft kraftlos Kiesel gegen das Fenster?«

Ja, ich weiß, es gibt gar keine grauen Haare. Es gibt nur schwarze oder weiße, und je mehr weiße man hat, umso grauer sieht man aus. Aber über den Unterschied zwischen einer grauen und einer weißen Glatze rege ich mich jetzt nicht auch noch auf.