25.11.18

Magdi Aboul-Kheir

Gruß aus der Küche an Papa Müll

Das Schöne am Familienleben sind all die charmanten Routinen, die sich über die Jahre im Alltag entwickeln. Beispielweise zu Tisch. Als meine Kinder noch klein waren und sie etwas nicht aufessen konnten, fragten sie mich total süß, dabei unwiderstehlich mit den Wimpern klimpernd »Papa, magst Du noch meinen Brei?« Oder: »Ich schaff die Karotten nicht mehr. Isst du sie bitte, bitte auf?« Später hieß es dann, vielleicht ein wenig pragmatischer: »Du magst bestimmt noch Reis!«, und schon schoben sie die Reste auf meinen Teller.

Wie gesagt, es entwickeln sich gewisse Routinen, manchen kommunikativen Umweg geht man irgendwann nicht mehr. Heute werfen meine Töchter, was sie nicht essen mögen, etwa einen Fettrand oder vermatschtes Gemüse, einfach in meine Richtung. Sie haben sich dazu den liebevollen und total witzigen Kosenamen »Papa Müll« für mich ausgedacht. Auch meine Frau lässt mir Essenreste mit einem eher lapidaren »Du hast noch Hunger« ziemlich direkt zukommen.

Die Crux ist, dass ich Essen nur ungern wegschmeiße. Auch werfe ich es zu Tisch nicht einfach wieder zurück. Und so habe ich es regelmäßig mit ziemlich großen Portionen zu tun. Und es liegt in der Natur der Sache, dass es nicht immer die leckersten Bestandteile einer Mahlzeit sind, die mir zugedacht werden. Eigentlich genau die nicht.

Meist läuft es so ab wie vergangenes Jahr in einer gutbürgerlichen Gaststätte. Ich wusste, dass es dort einen überraschend guten Zwiebelrostbraten gibt, die Schnitzel aber eher lieblose große geschmacksneutrale Schweinelappen mit dicker, fetttriefender Panade sind. Dafür soll das Dessert wiederum sehr lecker sein. Das kommunizierte ich genau so meiner Familie, aber Frau und Kinder hatten nun mal Lust auf Schnitzel. Ich bestellte mir Zwiebelrostbraten mit leckeren Spätzle. Um es kurz zu machen: Papa Müll aß an diesem Abend drei eher lieblose große geschmacksneutrale Schweinelappen mit dicker, fetttriefender Panade, übrigens auch mit drei Portionen zunehmend läppriger Pommes. Da meine Familie einfühlsam feststellte, dass das ja sehr üppig und schwer sei, was ich da zu mir nehme, übernahmen sie meinen Zwiebelrostbraten samt Spätzle: Und da der für drei Personen doch etwas zu knapp bemessen war, gab es für sie danach noch reichlich Dessert. Ich hingegen wollte nichts Süßes mehr.

Meine Freunde stellen häufiger mal fest, dass ich immer dicker werde, seit ich Familie habe. »Du isst deiner Frau und deinen Töchtern bestimmt immer alles weg, ha, ha.« Kann man so sehen.

Ich habe versucht, das Problem zu lösen, indem ich in Restaurants nichts mehr für mich selbst bestelle. Und stattdessen meine Familie bei der Bestellung so zu beeinflussen, dass sie alle etwas aussuchen, war mir dann schmecken würde. So waren wir neulich bei einem Vietnamesen, und mir gelang es, dass meine Damen die Nummern 17 mit Ente, 23 mit Hühnchen und 25 vegetarisch orderten, weil ich wusste, dass mir alle drei Gerichte ausgezeichnet munden würden. Raffiniert, was? Es ging dann so aus, dass Frau und Töchtern 17 mit Ente, 23 mit Hühnchen und 25 vegetarisch selbst so gut mundete, dass ich nichts abbekam. »Selbst schuld«, sagte meine Frau, und da hatte sie, wie so oft, recht.

Das ist aber noch gar nicht das Ärgste. Das Ärgste ist der Gruß aus der Küche. Wenn mehr oder minder ambitionierte Chefs einem schon mal vorneweg etwas Leckeres, Anregendes zukommen lassen möchten. Tatsächlich finde ich diese Häppchen oft lecker und anregend. Sie heißen ja auch Amuse-Gueule, also Gaumenfreude, und sollen Lust auf mehr machen. Sie sollen aber noch nicht selbst mehr sein oder werden. Leider mögen meine drei Damen diese Leberterrinen, den Forellentartar oder die Datteln im Speckmantel oft nicht, und da es ja sehr unhöflich wäre, die Gaumenfreude freudlos zurückgehen zu lassen, bin ich oft schon vor der Vorspeise pappsatt. Gruß aus der Küche? Gruß zurück von Papa Müll!

Am schlimmsten sind Essen in geselliger Runde. Denn wenn Freunde oder Bekannte sehen, dass ich den Gruß aus der Küche offenbar derart goutiere, dass ich die Grüße an Frau und Kinder ebenso aufesse, schieben auch sie mir ihre Häppchen – »wenn dir das so schmeckt« – hin. So hatte ich kürzlich vorab eine achtfache Gaumenfreude, in dem Fall acht Portionen kaltes Kartoffel-Selleriepürree mit Wachtelspiegelei und Sardellenpaste, und verwunderte die Tischgesellschaft danach, indem ich mein Menü abbestellte und dafür nur um einen kleinen Salat und einen großen Schnaps bat.

Ich musste an dem Abend ja nicht hungrig ins Bett gehen. Was auch an den drei dicken Scheiben durchwachsenen Schweinebraten lag, die ich von Frau und Kindern noch zugeworfen bekam.