11.07.06

Stefan Arenz

Cheyenne

Wenn begeisterte Fußballscharen zur WM ganzkörperbeflaggt durch unsere Straße taumelten und »Deutschland, Deutschland über alles« grölten, um die blöde hessische Lehrergewerkschaft zu ärgern, war ich natürlich dabei. Fast. Also eigentlich doch nicht so ganz. Denn wenn die anderen spätabends Autocorso fuhren und hupend ihrer himmelhochjauchzenden Freude Ausdruck verliehen, saß ich bereits wieder zu Hause und wartete auf Cheyenne.

Cheyenne, Licht meines Lebens, Feuer meiner Lenden. Meine Sünde, meine Seele. Chey-enne: Die Zungenspitze macht zwei Sprünge den Gaumen hinab und tippt bei Zwei gegen die Zähne. Chey. Enne.

Gesehen habe ich sie erstmals an einem lauen Juniabend. Ich zappe auf den selten genutzten Fernsehkanälen irgendwo hinter zwanzig und bleibe bei DSF hängen, diesem großartigen, engagierten jungen Sender, der zur späten Stunde für gewöhnlich Ratespiele mit großem Suchtpotential präsentiert oder sexy Sportclips, bei welchen sich junge, intelligente Damen in einer angenehmen Umgebung von ihrer besten Seite zeigen. An diesem Abend aber ist alles anders. Um viertel vor zwölf sehe ich bei DSF Live eine nahezu nackte, nahezu wunderschöne Frau mit großen Brüsten, die neben einer großen Tafel steht, auf welche jemand einige Worte gekritzelt hat. Ganz oben steht »Fußball-«, darunter: (Fußball-) »Platz«, »Spiel«, »Turnier« sowie »Schiedsrichter«. Vier oder fünf verdeckte Begriffe mit »Fußball-« werden noch gesucht. Aber ist ja auch egal, denn wie jeder normale Mann starre ich gebannt auf die Titten-Frau. Und für den letzten Trottel, der noch nicht begriffen hat, worum es eigentlich geht, steht groß unter der Ratewand: »Cheyenne zieht etwas aus!«

Cheyenne ...

»Wenn jetzt jemand anruft und den richtigen Begriff sagt, ziehe ich mein Oberteil aus«, ruft Cheyenne – als sei das Prinzip der Sendung noch nicht jedem klar geworden - und wackelt mit ihren beiden derzeit total primären Teilen. Tatsächlich spannt sich über diesen ein Stückchen Stoff, welches von ferne an ein Oberteil erinnert, obwohl es gerade so mal eben ihre Brustwarzen bedeckt. Dazwischen hängt ein Schild: Dreifacher Gewinn. Das irritiert mich ein wenig. Sind doch nur zwei Brüste. »Wenn Ihr jetzt anruft«, säuselt Cheyenne verführerisch, »creme ich mich auch etwas für Euch ein«. Was sie später auch tut, obwohl gar keiner anruft (»Meine Haut braucht viel Feuchtigkeit«), und cremig mit ihren Händen unter den Hauch eines Oberteils rutscht, das dann - Huch! - verrutscht und ihre rechte Brust freilegt.

Das Telefon klingelt. Also bei Cheyenne, nicht bei mir. Ich bin empört. Wer stört in der Betrachtung von Cheyennes rechter Brust? Hans ruft an, der Gute, und fragt Cheyenne mit belegter Stimme: »Darf ich Dich eincremen?« Nein, natürlich fragt er das nicht, obwohl er so gerne würde, wie wir alle, die wir atemlos vor der Glotze hocken. Stattdessen sagt er, mühsam und stockend, während sie derweil ihre nackte Brust massiert: »Ähm, ja, also, Fußball-Trainer?« Winzige Pause, Cheyenne überlegt kurz und ruft: »Nein, Hans, nein! Trainer ist leider nicht dabei«, und guckt enttäuscht zu Boden. »Trainer hatten wir doch schon zehnmal!« Wie soll man sich als Mann auch konzentrieren können bei diesem Anblick. Eigentlich ein fieses Konzept: Hans' Birne brennt durch und trotzdem soll er irgendwelche Begriffe raten. »Och Menno, ist doch total leicht! Kriegt das denn keiner raus? Lasst mich doch nicht so im Stich! Überlegt doch mal!« Dann stopf doch bitte mal eben die Brust in das Oberteil zurück, Cheyennie.

Überhaupt übt allein schon ihre Stimme eine seltsame Faszination auf mich aus, jedenfalls kann ich den Fernseher nicht ausschalten. Gebannt schaue und höre ich ihr zu: »Leute, jetzt denkt doch mal nach, das sind wirklich alles ganz einfache Begriffe, ich sag's Euch, kennt wirklich jeder, überlegt doch mal, was für Begriffe kann's denn geben mit Fußball, seht mal, Fußball-Platz haben wir schon, Fußball-Spiel auch, das kann doch nicht so schwer sein, ohhh Leute, strengt Euch mal ein wenig an ...« Nach kurzer Zeit wird man ein bisschen ballaballa im Kopf. Ich kann mich nicht dazu überwinden, die Fernbedienung anzurühren, und glotze wie paralysiert weiter.

Weil meiner guten Cheyenne ein bisschen langweilig wird und sie, wie sie sagt, ein bisschen Bewegung braucht, hoho, steigt sie auf ein Trampolin, das ich bisher gar nicht bemerkt hatte, und beginnt, entspannt ein wenig auf und ab zu hüpfen. Durch das Hüpfen entstehen gewisse Kräfte, die dazu führen, dass bereits nach kurzer Zeit alles, was an Cheyenne schaukeln kann, angenehm schaukelt. Von vorn schiebt sich ein ominöser künstlicher Palmwedel ins Bild und bewedelt sie mit Luft. Wozu? Diese Sendung wird immer skurriler. Weg mit Dir, blöder Palmwedel. Du verdeckst Cheyenne. Sie lässt sich davon sowieso nicht beirren, hopst und massiert weiter, ihre Brüste hüpfen sich immer mal wieder frei, und zwischendurch fordert sie weitere Anrufe. Weil die Anrufer einfach nicht auf die richtigen Begriffe kommen, hilft sie: »Ach Leute, jetzt passt mal auf: Der Begriff, den wir suchen, hat was mit dem Tor zu tun. Dieser Typ steht im Tor und hält die Bälle. Fängt mit ›T‹ an und hört mit ›wart‹ auf. Leute, das kann doch nicht so schwer sein!« Es ist wirklich erstaunlich: Gerade jetzt, wo die Lösung doch auf der Hand liegt, ruft niemand bei Cheyenne an. Vielleicht kann sich keiner konzentrieren. Ich überlege kurz, ob ich die günstige Gelegenheit beim Schopfe greifen soll, kann mich aber nicht vom Bildschirm losreißen und bleibe apathisch liegen. Nach zwanzig Minuten kommt schließlich Gerald durch und krächzt heiser: »Ja, also, Fußball-Torwart?« Ja, Gerald, ja!

Plötzlich betritt meine Freundin das Zimmer. »Also ich gehe ins Bett, bleibst Du noch?« fragt sie und sieht dann auf den Bildschirm. »Um diese späte Uhrzeit noch einen Krimi?« Ach, Cheyenne. Ich hätte hinterher nicht wieder zu ihr zurückschalten sollen, sondern die günstige Gelegenheit nutzen und ausschalten. Aber irgendwie hat mich der Teufel gepackt. Ich kann nicht aufhören.

Irgendwann ist die Sendung anscheinend zu Ende, so ganz genau kann ich das in meinem derzeitigen ballaballa-Zustand nicht mehr beurteilen, jedenfalls deckt Cheyenne nachlässig und sehr schnell die letzten, von den unzähligen männlichen Anrufern nicht gelösten Begriffe auf: Fußball-Fangesänge, Fußball-Trainerlizenz und, total leicht, Fußball-Sichtungslehrgang. »Da kommt doch wirklich jeder drauf, also Leute, was war denn los, sind wirklich total leichte Begriffe«, jault meine in jeder Beziehung schamlose Cheyenne. Ihre Stimme klingt mittlerweile allerdings ein wenig angegriffen. Auch sieht sie etwas müde aus. Dann kommt plötzlich Werbung. Mach's gut, Cheyenne. Zutiefst betrübt zappe ich noch eine Weile herum, um Energie zu sammeln, um wenigstens wieder aufstehen zu können. Cheyenne ist fort. Aber morgen Abend, irgendwann gegen elf, wird sie wieder Anrufe fordern, leicht bekleidet und gelegentlich hopsend, und ihre Brüste massieren.

Ich werde da sein, Cheyennchen. Und ich verspreche Dir, morgen auch ganz sicher einmal anzurufen, weil Du doch immer so lange auf Anrufe warten musst, obwohl eigentlich alles so total leicht ist. Vielleicht lernen wir uns ja ein bisschen besser kennen, so am Telefon. Vielleicht magst Du mich ja. Also bis morgen, Cheyennie. Oder bis übermorgen.