10.10.08

Wilhelm Ruprecht Frieling

In der Muckibude oder:
Hanteln, Schweiß und harte Hunde

»Hi, ich brauche eine Urinprobe«, fordert der drahtige kleine Mann und baut sich vor mir auf. Ich lasse eine Dreihundert-Pfund-Hantel fallen, dass der Holzboden kracht und begrabe damit den vorlauten Zwerg. »Urinprobe?«, blaffe ich ihn an, »sind wir hier etwa beim Dopingtest?«.

Der Gnom zerrt mit aller Kraft an der Hantel, um sich wieder zu befreien. »Ist doch alles nur Spaß«, greint er, »nur ein Spaß«. Ich ignoriere den Komiker und wuchte mich auf einen Schemel am Tresen des Studios. Eine verblühte Barfrau mixt mir einen Spezial-Drink. »Voll gesund und echt lecker«, meint die Wunderblume zu dem Getränk aus weißem Pulver und kaltem Wasser. »Pures Eiweiß. Das gibt Kraft!« An der Wand hinter ihr zeigen Fotos ihre verflossene Schönheit im Arm von Bodybuildern mit Goldkettchen und öligen Muskelprotzen.

Ich gieße den Wunschpunsch in mich hinein und höre meine Muskeln wachsen. »Mach mir gleich noch einen, das Zeug kommt echt gut«, rülpse ich bestätigend und reiche ihr den Becher. Im Hintergrund summen rührige Sportsfreunde. »Holt den Mond vom Himmel«, stöhnt es aus dem Turnsaal, in dem die Qigong-Gruppe trainiert und sich in Kraniche, Affen und Bären verwandelt. »Atme durch die Scheide«, tönt es von der Gymnastikfront der Beckenbodenbewegten. »Marschieren!«, schallt es bei den Rückengymnasiasten, die ein Drill Sergeant im Viervierteltakt befehligt.

Ketten klirren. Gewichte donnern zu Boden. Ein schriller Geruch von Körperschweiß drängt in meine Nüstern ... Was will ich eigentlich in diesem testosteronschwangeren Milieu, und vor allem: wie komme ich überhaupt hier her?

Den Weg ins Sportstudio ging ich, um mich von überflüssigen Pfunden zu befreien. Meine ersten zarten Schritte fanden unter den Argusaugen einer athletischen Trainerin statt. Sie verdrahtete mich und ließ mich auf einem Fahrrad Platz nehmen. Zehn Minuten lang wollte sie meine Kondition messen. Lächerlich! Zehn Minuten Fahrrad fahren ist doch kinderleicht. Überlegen lächelnd strampelte ich los und jagte als Pedalritter über Stock und Stein. Alle zwei Atemzüge legte das Gerät eine schärfere Gangart ein.

Nach sechs Minuten und einigen Kilometern piepste der Tachometer des Trimmrades vernehmlich. Was wollte mir das Gerät sagen? War ich zu schnell? Hob ich schon ab? Hatte ich die Bodenhaftung verloren und stieg hinauf in die Zirkuskuppel? – Meiner Trainerin hätte eine kleine Peitsche gut gestanden, denn ihre Worte trafen mich wie Hiebe: »Du bist viel zu langsam, der Computer schimpft schon«, mahnte sie. Welcher Macho will schon Schwäche zeigen? Ich legte einen Zahn zu, schnaufte hörbar und spürte meinen Körper bald nicht mehr.

Meine Knie zitterten. Vor meinen Augen tanzten Linien, Streifen und Punkte. Ich trat in die Pedale, trat, trat und trat ... Ich schickte ein Stoßgebet zu Herakles, dem Gott des Sports: Himmel, schenk mir Kraft! Mein Athletenhemd zeigte bereits große dunkle Flecken. Der Schweiß rann mir von der Stirn und tropfte auf den Boden. Dort bildete sich ein Salzsee in Größe des Toten Meeres. Ich gab alles. Nach zehn endlosen Minuten bescheinigte mir der Rechner ein niederschmetterndes Ergebnis: Meine Kondition war gleich Null. Unverzüglich wurde mir ein umfangreiches Programm verordnet, um meinen aus der Form geratenen Leib wieder auf Vordermann zu bringen.

Die Muckibude ist mir seit jenem unglücklichen Einstieg zur heimlichen Heimat geworden. Denn wenn der Glaube Berge versetzen kann, dann schaffe auch ich es, meinen Körper zu stählen. Wie ein Berserker haste ich über Laufbänder des Grauens, die mich gnadenlos vorwärts treiben. Vor mir grinsen Monitore: ich feixe zurück und erhöhe den Schwierigkeitsgrad. Leuchtdioden blinken. Anzeigetafeln weisen darauf hin, dass ich in einer Stunde so und so viele Kalorien abbaue. Kann man mich auch wie einen nassen Lappen auswringen, mein Ehrgeiz treibt mich voran.

Inzwischen ähnele ich einem Hamster, der im Rad rennt und vom eigenen Schwung beseelt kaum noch bremsen kann. Ich ziehe an Gummibändern und stemme Hanteln, ich strecke und beuge mich auf diversen Folterbänken in alle Richtungen. Anhand von Zeichnungen, die an der Wand prangen, verbiege ich meinen jammernden Körper zu bizarren Figuren. Ich springe auf Teller und versuche, das Gleichgewicht zu halten. Ich balanciere Stangen, die an den Enden heftig schwingen und aus mir Wackelpudding machen. Ich plumpse auf elastische Gummibälle, die meine Bauchmuskulatur zu Protestschreien nötigen.

Zur Kräftigung schlürfe ich am Ausschank des Instituts meinen Energie-Drink und flirte mit der Barfrau. Heimlich schlucke ich dazu ein paar verbotene Pillen, die meine Leistung enorm verbessert haben, seit ich sie täglich nehme. Denn gleich darauf kann ich mit den Leibesübungen weiter machen und erneut den Maschinenpark entern, ohne sofort nach Luft zu ringen.

Ich presse Brust und Rücken gegen Gewichte. Ich besteige Geräte, an denen ich Eisenteile mit den Armen nach vorne, nach oben und nach unten presse. Keuchend ziehe, schiebe und drücke ich stählerne Gestänge. Wieder und wieder bewege und ziehe ich Betonklötze. Dazu flimmern über mir Monitore, auf denen atemlos Sport läuft. Boxer schlagen und vertragen sich, Fußballer jagen Bällen hinterher, und Biathleten hasten bei Minusgraden auf Skiern durch dichtes Schneegestöber. Mir wird allein vom Zuschauen schon ganz heiß.

Beim »Spinning« trainiere ich Radfahren auf einem erbarmungslosen Standgerät. Im Takt schneller Beats geht es mit Schwungscheibe ohne Freilauf und ohne Rücktritt vorwärts. Nach Anweisung einer Vorturnerin strampele ich mich auf dem Rad ab und radele bergauf und bergab. Pflichtgemäß rudere ich dabei mit Händen und Armen, ich fahre vier Runden im Stehen, vier im Sitzen ... puuuh ... vier im Stehen ... schnaufff ... vier im Sitzen ... ächzzzz ... vier im Stehen ... kotz. Eine geschlagene Stunde mache ich in diesem Stil weiter und komme doch nirgendwo an. Meine vier Buchstaben brennen dabei, als säße ich auf der Schnittfläche eines mit Chili eingeriebenen scharfen Messers. Ich bin inzwischen völlig fix und foxy. Ich fürchte, ich habe es mit dem Sport ein wenig übertrieben.

Jesus lief über das Wasser. Mir gelingt es heute kaum noch, mich bis zur Umkleidekabine zu schleppen. Mit letzter Kraft reiße ich mir die klatschnassen Sachen vom Körper. Meine Beine schmerzen als sei ein Traktor darüber gefahren. Aufrecht stehen fällt mir unendlich schwer. Ich will nur noch sterben! Jeder Zentimeter meines geschundenen Körpers jammert. Muskeln zittern im Zwiespalt. Da öffnet sich der Himmel, und ein glühender Feuerball rast auf mich zu. Sterne tanzen vor meinen Augen. Willenlos knicken meine Beine weg ...

Ich habe das Gefühl, durch die Luft getragen zu werden. Ängstlich versuche ich, die Augen zu öffnen. Bin ich im Himmel? Doch die zwei Weißkittel, die sich über mich beugen, sind keine blonden Engel, und die steinharte Trage, auf der ich liege, ist kein Wolkenbett. Unter Anteilnahme des gesamten Studios werde ich in einen Notarztwagen geschoben. »Schon der Dritte in dieser Woche«, flucht einer der Medizinmänner. Wie entwürdigend!

Kurz bevor die Türen des Krankentransporters zuschlagen, springt der kleinwüchsige Spaßvogel mit heiserem Kichern zu mir in den Wagen. Der Hausgeist hält einen Zettel in die Hand. Darauf wird für »Pump«, »Workout« und »Power Gym« geworben. Oder wie wäre es mit »Lachboxen«? Da bekomme ich ein paar geknallt und darf dafür dankbar sein.

Matt lächele ich ihn an. Mit sterbender Stimme lüge ich, ich sei gerne weiterhin mit von der Partie, doch im Moment ein klein wenig unpässlich. Dann klappe ich vollends zusammen und sinke in komatösen Schlummer. In meinen Träumen verfolgt mich Rumpelstilzchen auf einem Trimmrad und hetzt mich zähnefletschend über den Parcours moderner Foltergeräte.