12.08.07

Wilhelm Ruprecht Frieling

Romanze im Second Life

Autoren haben ein erfülltes Leben: Ab und zu schicken ihnen Fans Grußpostkarten und andere Aufmerksamkeiten. Darunter finden sich gelegentlich verwelkte Rosen und eine Tafel Bitterschokolade für die herben Seiten des Seins. Inzwischen verwahre ich eine voluminöse Kiste mit Kuriositäten aller Art, die mir im Laufe der Jahre zugingen. Es gibt darunter auch Devotionalien echter Stalker, die keinen Anlass auslassen, liebevoll verpackte Kleinigkeiten abzugeben und sich damit immer wieder in Erinnerung zu rufen. Ich kann Klavierkompositionen zu meinen Ehren vorweisen, es gibt wundervolle Gedichte und höchst persönliche Briefe. Morddrohungen und anonyme Beschimpfungen sind dagegen seit den Siebziger Jahren stark zurückgegangen. In dieser Beziehung hat sich unsere Gesellschaft entspannt.

Auf eine Reportage über meine ersten Gehversuche im Second Life (SL) erhielt ich eine Einladung einer SL-Aktivistin aus Wien, mich ein wenig in der virtuellen Welt herum zu führen und mir ihre Lieblingsplätze zu zeigen. Dem wollte ich gern nachkommen und freute mich darauf. Eine Dame aus Wien im Second Life zu treffen, ist kinderleicht. Kaum habe ich mich mit meinem Alter Ego in das Programm eingeloggt, meldet sich meine Reiseleiterin. Ihr Nickname lautet Inanna. Auf geheimnisvolle Weise bemerkt sie sogleich, dass ich online bin und fragt, ob ich mich mit dem Teleportieren auskenne. Wer gibt schon zu, dass er weniger als nichts weiß? So tippe ich als Antwort, ich wüsste »ein wenig« darüber. Inanna weiß natürlich alles über die Teleportation. Ein kleines Bildschirmfenster springt auf, mit dem ich eingeladen werde, mich zu ihr beamen zu lassen. Ein zusagender Klick und ich werde in die »City of Acropolis« befördert, wo meine Gastgeberin plötzlich vor mir steht. Sie verändert ein paar Mal ihre optische Erscheinung, vielleicht ist sie sich unsicher, wie sie einem virtuellen Prinzen begegnen soll. Schließlich entscheidet sie sich für blond, langhaarig und wirft sich in ein todschickes Top und Minirock.

Screenshot

Screenshot: Wilhelm Ruprecht Frieling

»Magst Du mit einer Libelle fliegen?«, lädt sie mich ein, und ich bin nur zu gern dazu bereit. Leider ist es in der Welt, in der ich gerade gelandet bin, stockdunkel, und ich kann weder meine Begleiterin noch die angekündigte Libelle richtig erkennen. »Du musst drauf klicken«, kommandiert die Gastgeberin. »Rechte Maustaste, linke Maustaste und los«. Ich stochere im Nebel und erinnere mich, dass es irgendwo eine Einstellung gibt, wo die Tageszeit verändert werden kann. Inzwischen ist die schöne Wienerin ohne mich abgeflogen und kehrt zurück. »Los jetzt, klick auf die nächste Libelle, sonst fliege ich wieder ohne Dich ab«, mahnt sie. Endlich entdecke ich den Regler für die Helligkeit und stelle auf Mittagszeit ein. Ich finde mich in einem herrlichen grünen Hain wieder, und tatsächlich wartet im Hintergrund eine bunte Libelle, auf der mein persönlicher Minirock bereits Platz genommen hat. Brav stolpere ich in ihre Richtung. »Einfach drauf klicken, das reicht«, meint die Pilotin und schon sitze ich hinter ihr auf dem Reittier, das sich sogleich in die Lüfte erhebt.

Wir überfliegen Wasserfälle und Schluchten, Berghänge und Palmenhaine – alles prächtig animiert und durchaus sehenswert. Für mich ist es mein erstes Rendezvous im virtuellen Leben, wer will sich dabei schon dumm anstellen. Ich versuche jedenfalls cool zu bleiben und mitzuhalten. Inanna erzählt währenddessen, dass sie seit vierzehn Tagen im Second Life unterwegs ist und dort ihre große Liebe gefunden hat. Wie das denn gelaufen sei, will ich wissen. Sie hätten sich vier Tage nahezu ununterbrochen unterhalten, viele Gemeinsamkeiten festgestellt und so zueinander gefunden, erzählt mir meine Reiseführerin. Er lebe in England, sie in Wien, im SL könnten sie sich jederzeit treffen und Zeit miteinander verbringen.

Kann man sich in einen Avatar verlieben? – Ich habe meine große Liebe konventionell kennen gelernt, aber das ist auch schon Jahre her. Vielleicht bin ich einfach unmodern und hinke der technischen Entwicklung hinterher? – Im nächsten Leben wird alles besser!

Inanna jedenfalls zeigt mir die Schönheiten von Acropolis. Als nächsten Programmpunkt lädt sie zu einer Ballonfahrt ein. Ich habe sie inzwischen wieder aus den Augen verloren und bin in der tropischen Landschaft versunken. Mist, ich muss sie um Hilfe bitten! »Du bist ins Wasser gefallen,« grinst es zwischen den Zeilen, die sie mir schickt. »Ich hol Dich da wieder raus.« Plink! Das mir inzwischen gut vertraute Fenster zum Teleportieren springt auf, ich klicke und lande mit ihr an einer Bucht mit feinem Sandstrand.

Screenshot

Screenshot: Wilhelm Ruprecht Frieling

»Wir machen jetzt eine Ballonfahrt«, kündigt sie an. Ballon fahren ist gemütlich und im Second Life auch völlig gefahrlos. Folgsam haste ich hinter ihr her, und wir nehmen auf einem fliegenden Teppich Platz. Leider hebt sich der Teppich nicht, er ist wohl fehlerhaft programmiert, vielleicht bin ich dem Magic Carpet auch zu schwer. Jedenfalls besteigen wir einen großen Fesselballon, in dem bereits andere Gäste, darunter ein schwarz gefiedertes Ungeheuer, hocken. Der Ballon hebt sich und streicht über einen Urwald hinweg. »Nicht aufstehen, dann fällst du herunter«, lautet die Anweisung. Klar doch, wer wird denn in einer Ballonkanzel aufstehen, antwortet cool der Prinz und steht dann doch durch fehlerhaften Mausklick versehentlich auf, um in einen Blätterwald zu plumpsen, aus dem kein Entkommen scheint.

Meine Reiseführerin bekümmert dies wenig. Sie zieht mich wieder an ihre Seite, und ich verstehe endlich die magnetische Anziehungskraft, von der manche Paare berichten. »Jetzt musst Du mit mir tanzen«, heißt es schließlich. – Tanzen? Kommt jetzt das dicke Ende? – Schon im wahren Leben wanke ich wie ein Bär über die Tanzfläche und bin für jeden Kelch, der an mir vorüber geht, dankbar und froh. Wie soll ich da im virtuellen Leben tanzen!

Inanna zeigt auf verschieden farbige Bälle. Darunter steht »Tango-3« Jeder von uns nimmt einen, und, Wunder über Wunder, die Avatare aus Wien und Berlin tanzen miteinander einen Tango! Nach ein paar Tastversuchen entdecke ich den Lautstärkeregler und höre nun tatsächlich kubanische Klänge aus meinen Boxen, zu denen wir tanzen. Ich gestehe, fasziniert zu sein. Machen kann ich nichts, es läuft ein Programm ab, das die beiden Figuren höchst professionell tanzen lässt. Das geht ohne Pause, denn schon kommt das nächste Stück, vielleicht ein Mambo, Rumba oder Cha-Cha-Cha, jedenfalls stimmt die Schrittfolge. Der Computer macht es möglich, und ich tanze zum ersten Mal in meinem langen Leben nach derartigen Rhythmen.

Ob es die laute Musik ist, oder die Faszination, die sich mir durch die eigentlich kuriose Situation darbietet: jedenfalls schnaubt plötzlich hinter mir die nackte Empörung. »Du tanzt mit wildfremden Frauen im Internet! Bist Du jetzt vollkommen verrückt geworden?«, tönt es. Ich versuche, meine Traumfrau zu beschwichtigen: Ist doch alles nur virtuell! Zugegeben, es sieht seltsam aus, aber ich bin doch nur aus journalistischer Neugier im Second Life unterwegs, und ich kenne die Tanzpartnerin auch kaum ...

Davon will sie indes nichts hören. »Sofort hörst Du mit der Tanzerei auf«, faucht meine Angebetete, »ich kann kaum glauben, was ich sehe«. – Was für ein Mist! Jetzt muss ich meinen Ausflug in die virtuellen Tiefen des Second Life tatsächlich vorschnell beenden. – Wie stelle ich aber den Tanz ab? Schnell versuche ich, mich höflich von Inanna zu verabschieden und ihr das reale Schnauben aus dem Hintergrund zu erklären. Sie sei fest vergeben und ohne Absichten, erklärt die Beste. Aber welche liebende Gattin will das glauben? Ach, Ihr Frauen!

Was für ein Glück, dass ich bis dahin noch nicht die Schmusekugeln entdeckt hatte, die auf der Tanzfläche herumlagen, und die mir wahrscheinlich den Scheidungsanwalt auf den Schreibtisch gespült hätten. Dabei war ich eigentlich im Second Life unterwegs, um meine virtuelle Unschuld zu verlieren und darüber zu berichten. Wie gut, dass es soweit nicht gekommen ist. Dazu muss ich mir ein paar stille Stunden suchen, wo ich unbeobachtet meinen wissenschaftlichen Interessen nachgehen kann.