Es schmerzt zuweilen den Bewohner der schwäbischen Provinzgroßstadt, dass selbst der Inder in der Nachbarschaft als Wahlsättigungsbeilage Spätzle kredenzt, dass der Pizza-Service Jägerschnitzel auf der Speisekarte anbietet, es schmerzt ihn, dass die Landesregierung bar jeder Selbstironie mit dem Slogan »Wir können alles. Außer Hochdeutsch« wirbt, obwohl das doch nichts anderes heißt als »Wir sind überheblich, dabei beherrschen wir noch nicht einmal unsere Muttersprache«, es schmerzt ihn, dass infolge dieser populären Infantil-Schwäbisierung die heimischen Stadtwerke das Inhaltsverzeichnis ihrer Homepage unter dem Button »Guggad Se doch mol« verstecken und voller Ernst ihre telefonische »Hoddlein« anpreisen, all das Jägerzaunige, Tümelnde, Ranzige, Pomadige schmerzt ihn also zuweilen, und so zieht es den Kleingroßstädter in die Großgroßstadt, wo ihn sofort Neidgefühle auf diese Urbanität mit ihrem Pulsieren, ihrem Brodeln und ihrer Schmelztiegelei befallen. Was ein langer Satz ist, aber dennoch leider die Wahrheit.
In der Kapitale und beim befreundeten Gastgeber Sch. angekommen, tut sich rasch die Frage auf, wo man zu speisen gedenkt. Der Gast vom Lande, der zwar nicht wirklich vom Lande kommt, aber das ist im Vergleich mit Berlin nicht der Punkt, freut sich, das gewohnte Chinesen-
Mein Berliner Gastgeber, trendwitternd und szenescoutend, schüttelt wissend den Kopf. »Hab neulich was ganz Neues gesehen, das müssen wir un-be-dingt ausprobieren!« Wir gehen los. »Ist nur ein Frittenladen, machen voll auf Understatement, aber die haben Pommes aus der ganzen Welt, sogar afrikanische.«
In der Tat ist es nur einer dieser angesagten Frittierläden. Aber Sch., stolz, in seiner Metropole den Puls der Zeit, das Vibrieren der Postpostmoderne so vehement zu spüren, deutet auf die Karte. »Pommes rotweiß«, steht da, natürlich, »Pommes Belgian Style«, was immerhin schon nach Authentitzität und Qualität klingt, und dann ist da in der Tat, ehrlich und ungelogen, zu lesen: »Pommes Togo«. Ich bin wirklich extrem beeindruckt und versuche zu erahnen, welches sensationelle Aroma die Savannen-Kartoffeln wohl haben mögen, ob die ehemalige deutsche Kolonialzeit in Togo eine Rolle spielen mag, ich frage mich, ob es zu den Fritten gar westafrikanische Voodoo-Würze gibt, was allerdings auch das Problem aufwirft, ob »Pommes Togo« mit Ketchup und/oder Majo zu essen sind oder ob das ein Sakrileg darstellt.
»Pommes Togo«, ordert also mein stolzer Stadtführer. »Wat willste?«, herrscht ihn der Mann der Fritteuse an. Sch. deutet auf die Karte: »Pommes Togo bitte!« Der Verkäufer zieht eine Augenbraue nach oben, haut dann eine Portion ziemlich gewöhnlich aussehende Fritten in eine Tüte und drückt sie Sch. in die Hand. »Einmal Pommes zum Mitnehmen.« Er grinst meinen Begleiter an: »To go, kapiert?«
Die aufregende Riesenstadt hält noch viele Abenteuer für mich bereit, die aber nicht an dieser Stelle ausgebreitet werden sollen, und als ich einige Tage später in meine Heimat zurückkehre, bin ich durchaus wehmütig. In einer Pause am ersten Arbeitstag möchte ich mir einen Cappuccino holen und geh ich ein Café. Leute aus den umliegenden Läden und Betrieben holen sich hier ihren Kaffee in Plastikbechern samt Deckeln, ja, sowas gibt es hier jetzt auch, so hinterm Mond sind wir denn auch nicht zuhause. Ich gehe zum Tresen, grüße die Bedienung und deute lässig auf einen größeren Plastikbecher. »So einen hätte ich gern.« Die Bedienung nickt: »Einen Kaffee Togo.«
Illustration von Martin Rathscheck