26.11.05

Stefan Arenz

Von Simms und Pinns

Man kann sich in unserer technisch hochgerüsteten Welt, wie ich gerne im Folgenden beweisen möchte, bei den geringfügigsten Anlässen tierisch zum Affen machen. Dazu reichen im Extremfall folgende Zutaten aus: ein Handy, mangelhafte Vorbereitung und ein dynamischer Verkäufer. Und natürlich der Affe, also ich.

Mein alter Handyvertrag war nach zwei Jahren ausgelaufen, daher ging ich auf Befehl meiner Freundin in den Handyladen, in welchem ich das dazugehörige alte Handy gekauft hatte, weil ich, zumindest laut meiner Freundin, Anspruch auf ein neues hatte. Ich möchte vorausschicken, dass ich über viele sehr wichtige Dinge des Lebens sehr gut informiert bin, jedoch keinerlei Ahnung von Handys habe. Und dass ich mich an diesem Tag überhaupt ausgesprochen krank fühlte. (Das ist aber gelogen, ich fühlte mich großartig.)

Gemeinsam mit einem lustigen, dynamischen, jungen Verkäufer suchte ich sodann ein kleines, nettes Handy aus, das schlappe fünfzig Euro kostete und hübsch blinkte und klingelte. Alles war bis dahin völlig in Ordnung und ich hätte den Laden unbeschadet und friedlich verlassen können. Doch nein, der dynamische Verkäufer führte mich freundlich zu seinem PC, um mich zu vernichten.

»Sehen wir einmal nach Ihrem Vertrag, Herr Arenz. Ich glaube, ich kann Ihnen ein sehr attraktives Angebot machen«, sagte der dynamische Verkäufer. Dann rechnete er mir rasch vor, dass meine durchschnittliche Rechnungshöhe pro Monat bisher 27 Euro betragen habe, also sehr wenig und mithin eine Summe, auf die mein alter Handyvertrag gar nicht zugeschnitten sei. Da hätten sie mittlerweile etwas viel besseres. Exklusiv. Für mich.
»Inwiefern?« fragte ich sehr professionell zurück und fasste ihn scharf ins Auge. Er lachte. »Ah, ich sehe schon, ich habe es mit einem Profi zu tun«, ich blickte geschmeichelt zu Boden, »Sie kann man wohl nicht einfach über's Ohr hauen, was? Sie lesen Verträge noch durch, bevor Sie sie unterschreiben, was? Na gut, Herr Arenz. Nach dem neuen Vertrag, den ich Ihnen hier exklusiv anbiete, zahlen Sie im Gegensatz zu dem völlig veralteten Tarif, den Sie vorher hatten, einen Pauschalbetrag von 26,50 Euro fest als Grundpreis, sparen also im Gegensatz zu früher schon mal 50 Cent – pro Monat, Herr Arenz, pro Monat! –, und haben dafür zusätzlich 10 Freiminuten mit drin und dazu noch zwanzig Frei-SMS. Na, wie finden Sie das?«
»Hört sich gut an«, sagte ich ahnungslos und unschuldig. Was sollte ich auch entgegnen? Ich hatte kein Wort verstanden. Was bedeutete »Grundpreis«? Wieso »Freiminuten«, wo ich doch immerhin 26,50 Euro pro Monat bezahlen sollte? Aber ich Profi konnte ja schlecht nachfragen.

Der junge, lustige Verkäufer tickerte indessen wieder auf der Tastatur herum und vermerkte den neuen Tarif. Dann zwinkerte er mir zu, mir, dem Volltrottel. Ob er mir noch mehr aufschwätzen könnte?

»Noch ein kleiner Bonus, Herr Arenz: Sie können Ihr altes Handy behalten. Dann können Sie die SIMs einfach vertauschen und Ihre alte Nummer für das neue Handy übernehmen. Und Sie bekommen für das alte Handy auch noch ein tolles Guthaben von fünf Euro! Damit können Sie noch mehr telefonieren.«
»Oh, das ist aber nett«, antwortete der Volltrottel. Was, zur Hölle, war eine Simms? Wieder klickerte er auf der Tastatur. Dann sah er mich ernst an: »Wie schützen Sie sich eigentlich, Herr Arenz?«
Ich errötete.
»Kleiner Scherz, haha, nein, nicht Sie sich«, und er lachte, »ich meine, wie schützen Sie eigentlich Ihr Handy?«
Ich schüttelte verwirrt den Kopf.
»Nuuun«, legte das dynamische Verkaufsgenie los, »Handys sind natürlich extrem empfindlich, das passiert doch dauernd, kennen Sie ja, das kleine Ding fällt herunter, man kratzt mit einem Knopf drüber, mit einem Stift, es fängt plötzlich Flammen, oder es verschmutzt, Sand, Staub, Wasser, Kot, wie auch immer, plötzlich ist es kaputt, und wenn Sie es dann einschicken, wird natürlich nachgefragt, ›haben Sie es denn geschützt?‹, und wenn Sie dann keinen Schutz haben, können wir natürlich nicht kostenlos reparieren, ist klar, oder? Also ich empfehle Ihnen dringend, eine praktische Handyhülle zu kaufen, quasi ein Kondom für's Handy, Sie verstehen, haha, hier haben wir das Modell ›Safety‹ für lumpige zehn Euro, hier ›Extra-Safety‹ für zwanzig mit praktischem Gürtelanschluss, das ist wirklich suupaa. Das Modell ›Safety‹, unter uns gesagt, taugt wirklich gar nix, sehen Sie bloß mal hier ...«

Es wurde »Extra-Safety«.

Der Verkäufer begann damit, befriedigt grinsend alles hübsch einzupacken. Ich fühlte mich ebenfalls vage befriedigt. Neues Handy, besserer Vertrag inklusive tollem Zweithandy, ordentliche Schutzhülle. Hatte ich alles ganz alleine erreicht. Natürlich lag ich längst schon angezählt am Boden, aber das war mir noch nicht bewusst, das würde mir erst auf dem Weg nach Hause langsam klar werden, wenn ich die einzelnen Posten noch einmal zusammenrechnete. Doch diesem herzlosen Mistkerl von Verkäufer reichte das nicht. Er wollte mich noch hier, im Laden, zerstören.

Also sah er plötzlich auf, meine beiden Handys, das alte und das neue, in seinen schäbigen Klauenhänden: »Ich könnte Ihnen übrigens die SIM-Karte aus dem alten Handy gleich ins neue Handy einbringen, wenn Sie möchten?«
»Ja«, sagte ich unbefangen und spürte sofort wie Nadelstiche die Hassblicke der Kunden in der Warteschlange hinter mir im Rücken, welche ebenfalls auf Bedienung warteten. Er indes fummelte in aller Ruhe überlange an den beiden Handys herum, machte hier etwas auf und machte dort etwas zu und sagte dann:
»Ich brauche nur noch eben die PIN Ihres alten Handys.«
»Hm?«
»Die PIN. Den Code.«
»Ach so, ach so, die Pinn.« Ich überlegte einen Moment und murmelte dann leise: »Eins-zwei-sieben-sieben.«
»Eins-zwei-sieben-sieben«, sagte er laut und ungerührt und tippte die Nummern ein. Dann sah er auf: »Diese PIN scheint nicht zu stimmen.«
»Hm?«
»Sie stimmt nicht. Die PIN. Der Code. Es erscheint eine Fehlermeldung. Sind Sie sich sicher?«
»Ja, doch«, erwiderte ich sehr unsicher. Hinter mir erklang erstes leises Tuscheln.
»Ich versuche es einfach noch einmal, vielleicht habe ich mich ja auch vertippt«, sagte der junge, dynamische Höllenwächter in Menschengestalt und tippte: »Eins-zwei-sieben-sieben.«

Stille.

Er sah mich wieder an: »Es klappt nicht.«
Und, sehr langsam: »Die PIN ist falsch.«
Mir brach der kalte Schweiß aus. Er hat Recht, dachte ich plötzlich, die Kombination ist auch falsch, die gehört zu meinem uralten Handy, oder ist mein GMX-Passwort, oder was weiß ich. Nur wie, verdammt, lautet noch gleich die richtige Pinn?
Ich blickte ihn flehend an. »Geben Sie mir das Handy doch bitte einmal. Manchmal kann ich Telefonnummern nicht auf Kommando aufsagen, aber wenn ich sie einfach eintippe, fallen sie mir plötzlich wieder ein.«
Mit zweifelndem Gesichtsausdruck reichte er mir das Handy. Hochrot nahm ich es entgegen, blickte auf die Tasten, versuchte mich zu entspannen, an nichts zu denken, versuchte die Geräusche hinter mir zu ignorieren, das Fußtrappeln, das leise Gelächter, den Schweiß, welcher in Sturzbächen meinen prickelnden Rücken hinunterrann. Und dann, nach einer kleinen Weile, geschah es. Plötzlich tat es klick, ein Knoten im Hirn löste sich, und befreit und entspannt und ganz von selbst tippten meine Finger die richtigen vier Ziffern: Eins, tippten sie, und zwei-sieben-sieben. Wie magisch bewegten sich meine Finger, losgelöst von meinem Gehirn. Irre, warum so etwas manchmal funktioniert. Der Mensch ist doch ein kleines Wunder. Ich atmete erleichtert aus und klickte auf Bestätigen. Eine Nachricht erschien auf dem Display: »Diese PIN ist falsch. Das Handy wird gesperrt, weil dreimal die falsche PIN eingegeben wurde.«

Mir wurde mit einem Male sehr schwindelig. Plötzlich verspürte ich den absurden Wunsch, zu schmelzen und als Pfütze in den nächsten Abfluss zu versickern oder einfach zu verpuffen. Hinter mir hustete jemand, und ein anderer kicherte. Zu Recht. Ich riskierte keinen Blick nach hinten. Ich war ruiniert. Gesenkten Blickes gab ich dem Verkäufer das Handy zurück und sagte mit Grabesstimme:
»Mir fällt die richtige PIN nicht ein, es tut mir so leid. Sie fällt mir gerade einfach nicht ein, ich weiß auch nicht warum. Ich fühle mich auch sehr krank heute, sehr, sehr krank. Sie fällt mir einfach nicht ein. Es tut mir so leid. Machen Sie mit mir, was Sie wollen.« Der Verkäufer sah blicklos auf das Handy. In meinen glühenden Ohren rauschte das Blut.

»Na gut«, vernahm ich irgendwo hinter dem Rauschen leise die Stimme des Verkäufers, »ich stelle Ihnen jetzt einfach die PIN, die Sie genannt haben, als neue PIN für das Handy ein, dann haben wir keine Probleme mehr. – Die können Sie sich ja offenbar merken«, fügte er höhnisch hinzu und griff zum Telefon.
»Zentrale? Ja? Geben Sie mir doch bitte einmal die SuperPIN des Handys mit der Nummer Sieben-acht-null-null-dora-anton-null ...«

Nach einer halben Ewigkeit durfte ich den Vorhof der Hölle schließlich verlassen, klatschnass vor Schweiß und um Jahre gealtert. Ich erhielt keinen freundlichen Händedruck des Verkäufers und wollte auch keinen. Erst, als ich vor unserer Wohnungstür stand, mit einem teureren Vertrag als zuvor in der Tasche, zwei Handys, von denen das eine völlig überflüssig war und trotzdem fünf Euro zusätzlich im Monat kostete, sowie einer unnützen Schutzhülle aus labbrigem Gummi – erst dort fiel mir ein, dass die Kombination Eins-zwei-sieben-sieben nicht die PIN meines Handys gewesen war, sondern der Geheimcode meiner EC-Karte.

Nun ja. Seitdem habe ich aber wenigstens die gleiche Kombination für mein Handy und für meine EC-Karte. Das ist recht vorteilhaft für Volltrottel wie mich. Nur ganz selten passiert es mir, dass ich vor dem Geldautomaten stehe und mir partout nur die alte Pinn meines Fünf-Euro-pro-Monat-Extra-Handys einfallen will, welches im Schrank verstaubt, direkt neben »Extra-Safety«.