Lutz Kinkel

Immer auffe Anke!

Kaum war die Television verloschen, wetzten die Kritiker ihre Tastaturen und zerlegten das Gesehene zu Hundefutter. "Sie hat noch keinen Stand, von Standpunkt ganz zu schweigen", nörgelte Reinhard Mohr auf Spiegel-Online. Sie "trug den Spießerschwachsinn mit mumienhaftem Blick, Zeitlupenzunge und Bernd-das-Brot-Mimik vor, die Kommunikation mit dem Publikum und das Timing klappten überhaupt nicht, wie überhaupt alles Spontane nicht klappte", sekundierte Harald Martenstein im Tagesspiegel. Auch André Mielke, der für die "Welt" schrieb, verfasste eine Kritik, die stimmungsmäßig irgendwo zwischen Falludschah und Nadschaf anzusiedeln wäre: "Momentan passt das Konzept zu ihr, wie Ottfried Fischer in einen Neoprenanzug."

Wer solche Sätze liest, glaubt zunächst, es gehe um einen Auftritt Angela Merkels vor dem CDU-Parteitag. Nur langsam sickert die Erkenntnis ins Stammhirn, dass die Kritiken dann wohl nicht so freundlich ausgefallen wären. Spontan denkt man auch an Herta Däubler-Gmelin, Caroline Beil und Susan Stahnke. Aber nicht an Anke, die süße Anke Engelke, Nachfolgerin des kreativpausenden Harald Schmidts.

Am 17. Mai (2004) hatte Engelkes Late-Night-Show Premiere und seitdem überbieten sich die Rezensenten in brutalstmöglichen Formulierungen, um der Debütantin klar zu machen, dass sie nicht Harald Schmidt ist und nie sein wird. In all den Fächern, in denen der Altmeister brilliert habe – von der politischen Satire über die angewandte Medienkritik bis hin zum Eisenbahn spielen – würde sie versagen. Immerzu versagen. Und selbst ihr Versagen sei langweilig.

Dieser Kritik gilt es einige Argumente entgegenzusetzen, schließlich wollen wir nicht, dass Unschuldige gequält werden, das ist und bleibt ein schreckliches Privileg der RTL-Unterhaltungsredaktion. Erstens: Wie können Kritiker eigentlich nach einer Show wissen, wie sich die nächsten 250 Folgen gestalten? Wer eine Glaskugel besitzt, sollte an der Börse spekulieren und nicht für das Feuilleton schreiben. Zweitens: Man muss davon ausgehen, dass sich Engelke sowohl ihrer primären Geschlechtsmerkmale als auch ihrer Haarfarbe bewusst ist und deshalb auch an exzentrischen Tagen nicht dazu neigt, sich mit einem graumelierten Herrn zu verwechseln. Sie kann nicht Schmidt sein (und umgekehrt!) – das hat die Natur nun mal so gewollt. Drittens: Jeder macht das Fernsehen, das er selbst gerne sehen würde, deshalb sind Frauen zwischen 30 und 40 Jahren die stärkste Zuschauergruppe von Anke Late Night. Das allerdings ist eine Lektion, die wir zu lernen haben: Anke sendet an uns, den männlichen Kritikern, einfach vorbei, wir sind gar nicht gemeint. Das in der Tat ein Fakt, über den man(n) mächtig sauer werden kann.

Diese Kolumne ist Teil von "Ich glotz TV (Teil II)".