Lutz Kinkel

Der Funster und der COO

Heute wird's persönlich, denn ich möchte beichten: Die Medienartikel, die ich nach dem Studium für die Tagespresse schrieb, waren entsetzlich langweilig. So langweilig, dass ich in vier Jahren nur zwei Leserbriefe erhielt. Der erste kam von einem Star-Trek-Fan, der sich darüber beklagte, dass ich den Warp-Antrieb des Raumschiff Voyagers falsch beschrieben hatte. Das war natürlich ein Fehler kosmischen Ausmaßes, ich entschuldigte mich, zog mir das Büßerhemd an und schlug meine Stirn mit altem Trekkie-Spielzeug blutig. Den zweiten Brief schrieb ein Mann, der sich schon durch seinen Tonfall als alleinstehender, etwa 1,72 Meter großer Gymnasiallehrer zu erkennen gab. Er beschwerte sich darüber, dass ich eine Sitcom als Sitcom bezeichnet hatte, anstatt das deutsche Wort »Situationskomödie« zu verwenden. Ehrlich gesagt war ich unentschlossen, was ich antworten sollte, und ließ den Gymnasiallehrer und seinen erzieherischen Auftrag in der Ablage vergammeln.

Meine Freundin ist nicht Lehrerin sondern Psychologin, und sie sagt, dass Bezeichnungen das Denken über das Bezeichnete verändern können. Wir bemühen uns daher um einen menschen-, tier- und Effenberg-freundlichen Sprachgebrauch und sind ansonsten ultratolerant. Wenn sich Heidemarie Jiline Sander aus Wesselburen »die Hamburger Modedesignerin Jil Sander« nennen will, erbricht sich keiner mehr ins Wörterbuch.

Andererseits muss ich zugeben, dass die sprachliche Selbstverzierung mitunter enervierende Ausmaße annimmt. Zum Beispiel bei den Medienmachern, die ihre Visitenkarten mit Kürzeln wie CEO, CCO, CKO oder COO bedrucken lassen. Jeder normale Mensch assoziiert damit längst überholte DIN-Normen für Dichtungsringe, vielleicht auch turkmenische Handelsorganisationen. Stellt sich nach investigativer Nachfrage heraus, dass der COO der »Chief Operating Officer« ist, also ein Manager, der früher Geschäftsführer war, und dass er außer Hessisch keine Fremdsprache spricht, dann legt sich ein Hauch von Bitterkeit über das protestantische Herz, denn soviel Pose ist ganz sicher Ketzerei. Dass die Firma des COOs am Neuen Markt notiert war und sich derzeit zum Schandmal der Penny-Stocks entwickelt, versteht sich beinahe von selbst.

Bleiben wir bei der Pose und kommen nochmal auf Heidemarie Jiline Sander zurück. 1996 gab sie der FAZ ein Interview, das zeigt, dass es (leider) nicht beim selbstverwirklichenden »Jil« geblieben ist. »Der problembewußte Mensch von heute kann diese Sachen, diese refined Qualitäten mit spirit eben auch appreciaten«, sagte Sander. »Allerdings geht unser voice auch auf bestimmte Zielgruppen. Wer Ladysches will, searcht nicht bei Jil Sander. Man muss Sinn haben für das effortless, das magic meines Stils.«


P.S.: Sander ist für das Interview vom Verein Deutsche Sprache zum »Sprachpanscher« ernannt worden. Einer der späteren Preisträger war Wolfgang Zocher, Vorsitzender des Bundesverbandes der Deutschen Bestatter. Er führte in seinem leichenblassen Gewerbe die Berufsbezeichnung »funeralmaster«, kurz »funster«, ein. Offenbar wollte Zocher der Zielgruppe der COOs etwas näher kommen.

Diese Kolumne ist Teil von "Ich glotz TV (Teil I)".