12.03.06

Axel Scherm

Brachialdemoskopische Erkenntnisvielfalt

»Im Rahmen einer repräsentativen Studie...«
Wenn Sätze mit solchen Worten beginnen, regt sich bei mir von jeher Neugier und Misstrauen, bin ich doch als ausgebildeter Betriebswirt mit nahezu sämtlichen Niederungen und Fallstricken von Demoskopie, Stochastik und Statistik vertraut.
In diesem Zusammenhang amüsiert und erstaunt mich immer wieder aufs Neue, welch sinnentleerte Erkenntnisse sich aus derartigen Studien ergeben, und auf welch hanebüchene Rahmenbedingungen sich diese oftmals stützen.

So hat meine Hausbank auf ihrer Homepage im Rahmen einer solchen Studie, die von einem namentlich bekannten (hier aber nicht näher genannten) Forschungsinstitut durchgeführt wurde, ermittelt, wie viel Zeit die Deutschen ungefähr für folgende Vorhaben investieren:

  • Kauf Einbauküche
  • Altersvorsorge
  • Planung einer Party mit Freunden
  • Autokauf
  • Handyvertrag abschließen

Dreist wurde ich nach Bekanntgabe dieser Basisinformationen vom Betreiber der Homepage gefragt, ob ich denn eine Vorstellung davon hätte, wie das Ergebnis ausgegangen sein könnte, um dann noch dreister aufgefordert zu werden, in meiner unendlichen Repräsentativität (gibt's das Wort überhaupt - egal) den Test selbst einmal durchzuführen.

Gefragt, getan. Grafisch ansprechend und aufwändig mit Drag und Drop programmiert, waren unterschiedlich viele kleine Uhren auf die erwähnten Aktivitäten zu verteilen, allerdings stieß ich beim Herumschupsen dieser Uhren auf folgende Ungereimtheiten:
Erstens beschäftigen sich Männer am häufigsten mit dem Thema »Sex«, das haben andere repräsentative Studien ergeben, dieses Thema aber stand überhaupt nicht auf der Liste. Zweitens war mit keiner Silbe erwähnt worden, auf welchen Zeithorizont sich die zu verteilende Zeit beziehen sollte.

Um mal ein Beispiel zu nennen:
Würde sich der Zeithorizont sagen wir mal auf die kommenden zwei Tage beziehen und ich hätte vor, morgen eine Party mit Freunden zu feiern, würde ich sicher überwiegend an diese Party denken, und nachts wahrscheinlich noch davon träumen. Der Anteil meiner Gedanken zum Thema »Altervorsorge«, würde hingegen auf Null absinken, obwohl ich zugeben muss, nach den meisten Partys ziemlich alt auszusehen.
Beim Betrachtungszeitraum von einem Jahr und durchschnittlich fünf Partys pro Jahr, ergäbe sich natürlich ein ganz anderes Verhältnis, wobei ich mir vorstellen könnte, die Altersvorsorge würde auch in diesem Fall ganz schlecht abschneiden.
Wieder ein anderes Bild ergäbe sich, hätte ich vor, morgen ein Auto oder ein Handy zu kaufen, von einer Küche mal ganz abgesehen, zumal dieses Thema zwischen mir und meiner Frau über die letzten Jahre zum Running Gag mutiert ist.

Lange Rede, kurzer Sinn. Der Studie zufolge waren offensichtlich insgesamt 96 Stunden zu verteilen (wieso, weiß nur das Forschungsinstitut) und am sorgfältigsten planen Deutsche – wer hätte es gedacht – den Autokauf mit insgesamt 37 Stunden, gefolgt vom Küchenkauf mit 25 Stunden, der Altervorsorge mit 21 Stunden (immerhin), der Partyplanung mit 7 Stunden (schwach) und dem Handyvertrag mit 6 Stunden. Ergibt zusammen 96 Stunden.

Ein Ergebnis, das ungefähr dem Informationsgehalt entspricht, dass ein Schimmel weiß und ein Kreis rund ist. Natürlich wird der Altervorsorge viel zu wenig Zeit eingeräumt und das heilige Blechle steht in Deutschland selbstverständlich an erster Stelle. Ein Beratungsgespräch mit der Bank muss her – logisch!

Nach solch brachialdemoskopischer Erkenntnisvielfalt frage ich mich allerdings, wer kommt auf einen solchen Unsinn und glaubt auch noch ernsthaft, eine derart durchsichtige Herleitung würde von uns, den Verbrauchern, nicht durchschaut.
Ein klärendes Gespräch mit meiner Frau, die seit einiger Zeit in einem Fortbildungszentrum Bewerbungs- und Wiedereingliederungstraining für Arbeitslose abhält, brachte Licht ins Dunkel: offensichtlich bieten diverse Fortbildungszentren seit neuestem Umschulungsmaßnahmen für Milchmädchen an, denn dieser Beruf scheint seit Einführung der Melkmaschine ja langsam auszusterben.
Oder sollte man darüber bei Gelegenheit eine repräsentative Studie in Auftrag geben? Ich wüsste da ein Institut...

Diese Kolumne finden Sie auch in Axel Scherms Ende 2010 erschienenem Buch »AxeAge – Das Printlog zum Weblog«.