Nennt mich pervers, aber ich liebe es, in unserer Postfiliale in der Warteschlange zu stehen. Diese kleine, abartige Neigung geht manchmal sogar soweit, dass ich mich dann, wenn ich an der Post vorbeikomme und durchs Fenster eine ausreichend lange Schlange erkennen kann, hinein gehe, mich am Ende der Schlange, sozusagen am Schlangenarsch anstelle, um dann, wenn derjenige vor mir an der Reihe ist, so zu tun, als hätte ich etwas vergessen und wieder verschwinde.
Alleine zu beobachten, wie selbstgefällig, gleichzeitig genervt und belästigt die Schalterbeamten den nächsten in der Schlange heranwinken, um ihn dann im wahrsten Sinne des Wortes abzufertigen, ist ein Genuss. Auch schön, wenn drei Postler hinter dem Schalter wuseln, ohne dass erkennbar wäre, was genau sie da tun, die Schlange immer länger wird und der einzig kundenorientierte Postbedienstete dem Kunden, der gerade einen fünfundfünfzig Cent Brief abgegeben hat, ein Beratungsgespräch in Sachen Postbankgirokonto ins Ohr schraubt. Die Stimmung in der Warteschlange wird in solchen Fällen ganz schnell ganz mies. Wenn es nicht ein anderer tut, heize ich derart schlechte Gruppenbefindlichkeiten gerne zusätzlich an, indem ich hörbar genervt durchatme, mir dabei angewidert durchs Haupthaar fahre und für alle in der Schlange sichtbar die Augen rolle.
Heute musste ich einen Brief aufgeben. Die Reihe der Wartenden war angemessen lang und was soll ich sagen, die Gruppendynamik in der übervollen Postfiliale kam mir vor, wie ein eigens für mich inszeniertes Theaterstück:
Am Boden kauerten zwei ältere Türken, die einen Karton, der ursprünglich einmal oder vielleicht auch immer noch einen Bodenstaubsauger beinhaltete, umständlichst und unter großem Palaver in eine Rolle Paketpapier einschlugen, weil es dem bösen Postbeamten gefallen hatte, selbiges von seinen potenziellen Versendekunden einzufordern.
Die beiden stellten sich dabei dermaßen ungeschickt an, dass man annehmen musste, sie tun dies zum allerersten Mal. Kurz habe ich darüber nachgedacht, ihnen meine Hilfe anzubieten, aber erstens waren sie ja schon zu zweit und zweitens so sehr in ihre Arbeit und ihre Wut auf den Schalterbeamten vertieft, dass ich das Kraut wahrscheinlich erst noch fett gemacht hätte – wie man bei uns in Franken sagt.
Auf der Alternativbühne meines Privatschauspiels Neulich auf der Post, einem Stehpult direkt neben mir, versuchte eine Frau ein Gesellschaftsspiel (nein, es war nicht Mensch ärgere Dich nicht) in ein viel zu kleines Postpaket einzupacken und geriet darüber so sehr in Rage, dass sie den soeben für nicht wenig Geld erstandenen Paketrohling zerriss, zerknüllte, in den Papierkorb feuerte und mit ihrem Gesellschaftsspiel unterm Arm laut fluchend das Gebäude verließ. Fast hätte ich applaudiert.
Doch damit nicht genug. In der von halbhohen Glaswänden abgetrennten Postbankfiliale, die sich am Ende des Raumes befindet, ging gerade ein Gespräch – wenn ich es mir recht überlege, war es kein Gespräch, sondern ein handfester Streit – zwischen einem älteren Herren und dem Bankangestellten in seine heiße Phase. Es fielen Sätze wie So nicht, mein Lieber und Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind.
Der hinter mir in der Schlange stehende und mit mehreren Paketen schwer beladene Kunde und ich sahen uns vielsagend an, ich schüttelte die Hand im Tenor, mein lieber Schwan, da drin geht ja die Post ab und beide waren wir so in das Geschehen hinter den Glaswänden vertieft, dass ich die Aufforderung der Schalterbeamtin überhörte, gefälligst zu ihr an den Schalter zu kommen.
Nonchalant winkte ich den Herrn mit den vielen Paketen durch. Gehen Sie ruhig, Sie haben schwer zu schleppen, ich habe Zeit, sagte ich und brachte mich in Position, um das Finale des Streitgesprächs mitzubekommen.
Das endete dann allerdings eher unspektakulär. Der Bankangestellte, der inzwischen glaubte, wer er war und der Kunde besahen sich einträchtig eine Grafik am Bildschirm. Ich konnte also beruhigt zum Schalterbeamten meines Vertrauens gehen und meinen Brief abgeben.
Mit dem befriedigenden Gefühl, nicht nur ein Postwertzeichen erstanden, sondern einer kulturellen Veranstaltung beigewohnt zu haben, verließ ich die Filiale. Auf dem Weg ins Büro überlegte ich bereits, wem ich als nächstes einen Brief schreiben könnte und ob ich nicht doch ein Konto bei der Postbank eröffnen sollte.
Ich glaube, ich bin postsüchtig.
Diese Kolumne finden Sie auch in Axel Scherms Ende 2010 erschienenem Buch »AxeAge – Das Printlog zum Weblog«.