29.08.10

Axel Scherm

Alles ist Golf, Teil 4: Shit happens

Will oder muss man sich dem Phänomen Golfsport nähern – »will« deshalb, weil man im Fernsehen irgendwann einmal gesehen hat, wie jemand einen Golfball kerzengerade über 250 (in Worten »zweihundertfünfzig«) Meter weit geprügelt hat und man dies unbedingt auch beherrschen möchte – oder »muss«, weil man meint, auf dem Golfplatz auch Geschäftliches erledigen, Kunden gewinnen oder letztere halbwegs belustigen zu können, so sollte man auch oder gerade die andere Seite, die dunkle Seite dieser obskuren Freizeitbeschäftigung kennen – zumindest von ihr gehört haben. Auf deutsch würde man jene dunkle Seite mit dem mehr oder weniger umständlich formulierten Satz beschreiben: Es kann sehr viel Unvorhergesehenes, Unangenehmes und Dummes geschehen. Das englische Pendant dieser Erkenntnis hingegen lautet kurz und bündig: Shit happens.

Fangen wir – schon aus Gründen der Dramaturgie – mit den kleinen, unvorhersehbaren, unangenehmen und dummen Dingen an:
Beim ersten Abschlag und bei jedem weiteren der noch folgenden siebzehn Abschläge einer jeden Golfrunde darf man den Ball auf ein Holz- oder Plastikdingsbums legen, das sogenannt Tee. Nun kann es passieren, dass besagtes Tee etwas zu weit aus dem Boden herausragt und man anstatt den Ball, eben jenes Tee trifft und dieses dann weiter fliegt, als der Ball. Häufig ist ein derartiges Missgeschick damit verbunden, eine Lady geschlagen zu haben. Keine Angst, damit ist nicht die aus Frust über das Missgeschick vorgenommene Verprügelung der mitspielenden Damen gemeint, sondern der peinliche Umstand, den Ball nicht über den sich ein paar Meter weiter vorne befindlichen Damenabschlag hinausbefördert zu haben. Konsequenz dieser Fehlleistung ist auf allen Golfplätzen dieses Planeten, sämtliche Mitspieler nach der Golfrunde auf einen Drink ins Clubhaus einladen zu müssen. Das kann bei Anfängern nicht nur besonders peinlich, sondern vor allem besonders teuer werden.

Wesentlich weitreichendere Folgen hat es allerdings, wenn man den Ball tatsächlich trifft, muss man sich doch einen erfolgreich vom Tee abgehobenen Golfball wie ein Geschoss vorstellen. So habe ich in meiner fast zwanzigjährigen Golferkarriere tatsächlich eine Amsel im Flug getroffen, und ein ins Aus verzogener Ball wurde von einem in diesem Augenblick aufstehenden Schaf, das zusammen mit einer kleinen Herde eingezäunt neben dem Golfplatz weidete, auf die Spielbahn zurückgeköpft. Die Amsel flog federlassend in Achterbahnkurven davon, das Schaf wankte gewaltig, blökte verwirrt und zog nachhaltig die Blicke seiner Herde auf sich. Ich könnte mir vorstellen, das Schaf hieß Shaun.

Doch auch, wenn der Ball nicht fliegt, ist er für so manch Unvorhergesehenes, Unangenehmes und Dummes gut. Man nennt solche Bälle Wormburner, weil sie über den Boden huschen und jeden aus der Erde kriechenden Wurm in Rauch und Asche verwandeln würden. Läuft dann noch ein Huhn in eine solche »Flugbahn«, so wie neulich bei einem meiner Abschläge geschehen, ist es mehr als nachvollziehbar, am nächsten Tag auf der Speisekarte des Clubrestaurants Hühnersuppe als Vorspeise zu finden.
Für alle Tierschützer: ich habe nicht mit Absicht auf das Huhn gezielt. Das Huhn hat nicht gelitten, es war auf der Stelle tot.

Wem das bisher Beschriebene zu profan erscheint, dem sei mitgeteilt, dass es beim Golfsport auch Missgeschicke mit nahezu biblischen, apokalyptischen Erscheinungsformen geben kann.

So begab es sich, dass neulich ein Mitspieler, einem verzogenen Abschlag folgend, in einem Dornenbusch verschwand und sich nach Verlassen desselben erschreckten Blicken seiner Flightpartner ausgesetzt sah, weil er sich an den Dornen mehrere stark blutende Kratzer am Kopf, den Ohren und sonst wo zugezogen hatte. Muss ich erwähnen, dass er ein weißes Poloshirt anhatte und muss ich beschreiben, wie dieses nach der Buschdurchquerung aussah?

Ein anderes Ereignis mit ähnlich verblüffender Optik trug sich vor Jahren zu, als ein Blitz eines entfernt aufziehenden Gewitters bewirkte, dass sich die Haare einer Mitspielerin senkrecht nach oben aufstellten und weder durch Kamm, noch durch Bürste dazu bewegen ließen, sich wieder hinzulegen. Entnervt gab die Mitspielerin ihr Spiel auf, lief zurück zum Clubhaus und erst eine kalte Dusche bändigte das widerborstige Haupthaar. Muss ich beschreiben, wie groß das Gelächter war, als sie mit Marge-Simpson-Frisur das Clubhaus betrat?

Aber zurück zum Profanen. Die hauptsächliche Ursache für Unbill jeglicher Art beim Golfsport ist und bleibt die eigene Unzulänglichkeit. Immer dann, wenn man meint, diesen Sport endlich, endlich kapiert zu haben und zu beherrschen, weil man gerade einen kerzengeraden Zweihundertmeterschlag hingelegt hat, darf, nein, muss man sich beim nächsten Abschlag bereits wieder in Demut üben. Nicht, weil man eine Amsel oder ein Huhn getroffen, oder den Abschlag in einen Dornenbusch verzogen hat, aus dem man blutend wie ein abgestochenes Schwein wieder herauskommt, sondern schlicht und ergreifend deshalb, weil man einfach zu blöd ist, einen ordentlichen Golfschwung zu machen, weil man zu schnell dem Ball hinterher sieht, weil man gerade an Rumpelstilzchen anstatt an Tiger Woods gedacht hat, weil man selbst nach zwanzig Jahren immer und immer wieder die gleichen Anfängerfehler macht, weil der Mensch offensichtlich ungeeignet ist für diesen Sport. Shit!

Diese Kolumne finden Sie auch in Axel Scherms Ende 2010 erschienenem Buch »AxeAge – Das Printlog zum Weblog«.