Wegen Mascha würde ich das Verbot, Menschen zu klonen, aufheben. Mir fällt kein anderer Grund ein, das Klonen zu erlauben. Mascha ist ein Grund. Sie arbeitet auf dem Markt, der drei Minuten von unserer Wohnung entfernt liegt. Mascha handelt Käse, Jogurt, Quark, Würste und – wie ich heute erfahren habe – auch Ziegenmilch, die eigenartig riecht. Dass sie eigenartig riechende Ziegenmilch handelt, hatte ich nicht gewusst. Ich mag Mascha. Nie würde sie hinter der Theke ein Nickerchen halten. Die Frau im Lebensmittelmarkt bei uns an der Ecke tut es ganz gerne. Sie verdreht ihre Augen, wenn ich sie wegen einer Salami geweckt habe, gibt mir, was ich haben will, lümmelt sich hernach wieder auf ihren Hocker und schlummert weiter. In diesem Laden habe ich das Gefühl, gehasst zu werden. Deshalb würde ich Mascha klonen und eine Mascha in jedes ukrainische Geschäft schicken. Eine Mascha müsste auch die Regierung übernehmen oder Präsidentin werden. Ich würde Mascha wählen.
Illustration von Martin Rathscheck
Ich bin es gewohnt, dass ich mehr kaufe, als ich will, einfach, weil ich gutmütig bin und schlecht nein sagen kann. Aber dass ich etwas gekauft habe, ohne auf dieses Unverzichtbare hingewiesen worden zu sein, ist mir neu. Plötzlich gehörte mir diese Ziegenmilch, abgefüllt in eine eineinhalb Liter große Colaflasche. Ich will Mascha nichts unterstellen, ich denke, sie hat sich mein Einverständnis geholt. Dummerweise kann ich mich nicht daran erinnern.
Es muss damit zu tun haben, dass mich mein Russisch bisweilen im Stich lässt. Ich verstehe selten, was mich eine Verkäuferin aus Odessa in ihrem Dialekt fragt, und antworte trotzdem prompt mit ja oder nein. Ob ich annehme oder ablehne, bejahe oder verneine, ist losgelöst vom Sachverhalt. Es hängt davon ab, welches der zwei russischen Wörter – »njet« oder »da« – mir augenblicklich näher ist, jedenfalls vermute ich das. Vielleicht hängt es von etwas anderem ab, vom Gesicht der Verkäuferin bestimmt, vielleicht auch vom Wetter, ich habe keine Ahnung. Auf diese Weise bestehe ich auf eine Tüte, die ich nicht brauche, weil ich nur eine Zahnbürste nach Hause tragen muss, und auf diese Weise verzichte ich auf eine Tüte und balanciere einen Großeinkauf aus Wasserkanistern, Bierflaschen, Coladosen, Weißbrot, Spülmittel und Seife in den Bus.
Mascha und ich, wir sind das, in der Pädagogik ein Tandem genannt wird. Wir lernen miteinander. Sie übersetzt mir auf Russisch, was sie anbietet, und streut französische Wörter wie très bien, garçon oder délicieux ein, die ich ihr wiederum auf Deutsch und Russisch zurückgebe. Ich glaube allerdings nicht, dass sie Fortschritte machen wird. Ich habe mein Französisch vor langer Zeit in der Schule vergessen. Bis ans Ende meiner Tage in Odessa werde ich Mascha trotzdem eigenartig riechende Ziegenmilch abkaufen müssen. Sie ist sehr hartnäckig.