»Hai Deng!«, schallt es durch den Frühstücksraum des Familienhotels. Brav trippelt Hai Deng, das schwarzhaarige Mädchen mit dem Pagenschnitt, vom Buffet zum Tisch der Eltern zurück. Der Vater ist Schweizer, wie unschwer zu hören ist, die Mutter Asiatin. Hai Deng und eine weitere Tochter kommen deutlich nach der Mutter. Ich tippe auf Mongolen, wobei sich meine diesbezügliche ethnologische Kompetenz auf Besuche asiatischer Restaurants und das Betrachten von Karatefilmen und Olympischen Spielen im Fernsehen gründet, also angreifbar sein dürfte. Egal, ich mutmaße, dass es sich um eine schweizerisch-mongolische Familie handelt.
Hai Deng belegt sich am Tisch eine Scheibe Graubrot mit reichlich Salami. Hai Deng Huerlimann oder Hai Deng Bircher oder Hai Deng Schnyder? Lässt man seine Kinder mit einem solchen klanglichen Paradoxon durchs Leben gehen? Andererseits sieht das Mädchen unbestreitbar asiatoid aus, und man kann sich durchaus mit Kulturkreuzungs-Namen einen ebensolchen machen, siehe Joan Chen und Jackie Chan, Claude-Olivier Rudolph und Charly Mohammed Huber, ganz zu schweigen von Ahmed Huber.
Taugt die Namensgebung heute angesichts Osterweiterungen, Migration und Ethnotrends noch zur soziokulturellen Einordnung oder gar zum nationalistischen Akt? Können oder sollen oder wollen all die Michelles und Maiks jemals den Osten abschütteln? Sorgt das Medienecho von »Der Untergang« für eine Renaissance des Traditionsnamens Adolf? Drücken promigeile Eltern ihren kleinen Britneys, Anastacias und Naomis nicht ein lebenslanges Stigma auf? Eifern nicht zu viele Mütter und Väter mit krampfhafter Originalität und zeitgeistiger Geistlosigkeit dem Vorbild der Reichen und Berühmten und Bekloppten nach, wir denken an Jimmy Blue und Wilson Gonzales Ochsenknecht, an Brooklyn Beckham und Lily-Rose Melody Depp, an San Diego Franjo Poth, Tallulah Belle Moore und Sage Moonblood Stallone. Und vor allem an Fifi-Trixibelle, Peaches Honeyblossom und Pixie Geldorf. Soll man sich da noch über Hai Deng Huerlimann Gedanken machen?
Man soll. Ich kenne die Problematik aus unmittelbarer Nähe. Als sich vor vier Jahren selbst produzierter Nachwuchs ankündigte, stellte sich die Frage, welcher Vorname denn zu Aboul-Kheir passt. Ein deutscher, schließlich sollte der neue Mensch ja hierzulande leben? Karl, Hasso, Urban? Hannelore, Kreszenz, Notburga? Doch lieber ein nahöstlicher Name, der mit Aboul-Kheir harmoniert, aber zugleich einer, der nicht zu fremd für mitteleuropäische Ohren klingt? Doch schon Karim und Tarek wirken zu arabisch, und Murat kam nicht in Frage, weil ich dann immer eine zehnjährige Göre vom Spielplatz rufen höre. »Komm, Murat, lass uns ficken.« Und machen mittlerweile nicht alle osmanisch-orientalischen Namen irgendwie verdächtig? Man denke nur an Saddam und Osama. Auch den Namen des Propheten wollen viele dank des Terrorpiloten Mohammed Atta nicht mehr wertneutral wahrnehmen.
Wir entschieden uns für Ben. Einfach Ben. Das heißt schlicht und treffend »Sohn«, allerdings auf Hebräisch, zum Schrecken meiner ägyptischen Ahnengalerie; andererseits ist Ben in seiner Variante Ibn ein weitverbreiterer arabischer Namensbestandteil, also war dieser Vorbehalt ausgeräumt. Ben! - und zwar nicht als Kurzform von Benedikt oder gar Benjamin, denn Letzteres heißt ja »jüngster Sohn«, und wer nennt sein erstes Kind schon »jüngster Sohn«? Viele, aber denen ist nicht zu helfen.
Es wurde ein Mädchen. Zum Glück. Denn kurz darauf nahm der Sänger Ben – der mit der auftätowierten Deppenmütze - Charts und Elfjährigenherzen im Sturm, und allein der Gedanke, jemand hätte vermuten können, unser Kind wäre nach diesem seiernden Schleimbeutel benannt worden, ließ uns zusammenzucken.
Hai Deng Huerlimann war satt. Die gesamte Familie erhob sich im Frühstücksraum, Vater, Mutter, beide Töchter. Auch wir haben heute zwei Töchter, Dana und Ida. Keine Hai Deng. Aber das Mädchen im Frühstücksraum hieß offenbar auch nicht Hei Deng. Hingegen hatten hier die Kräfte eidgenössischer Ethnozentrik gewirkt, und ich hatte nicht genau hingehört. Der Schweizer Vater und die mongolische Mutter riefen ihre schweizerisch-mongolische Tochter: »Komm, Heidi.«
Diese Kolumne finden Sie auch in Magdi Aboul-Kheirs Buch »Papa fertig!« – zusammen mit einer großen Auswahl der beliebtesten Kolumnen (in neuen, teils stark erweiterten Fassungen), aber auch etlichen neuen Texten.