Seit 30 Jahren nutze ich einen E-Mail-Account, der mir stets zuverlässig das bescherte, wovon ich kaum zu träumen wagte: Sex, Sex, und immer wieder Sex. Waren es üppige Sekretärinnen, die mich bedienen wollten oder blutjunge Lolitas, denen ich es »richtig« besorgen sollte: Selbst in den Pionierzeiten des elektronischen Briefverkehrs, und ich spreche über eine Zeit, die lange vor der Erfindung des World Wide Web lag, wurde mein Elektrobriefkasten stets mit hüllenlosem Sex, dem digitalen Grundnahrungsmittel Nummer Eins, versorgt.
In der Pionierzeit des Mediums waren es heiße Amerikanerinnen mit Furcht einflößenden Riesenbrüsten, die mich begehrten. Sie schlugen erst per Wort, später per Bild und dann per Film in meinem Postfach auf. Jedes Mal, wenn eine Stimme »You got Mail« krächzte (später qualifizierte sie ihren Lockruf in »Sie haben Post«), traten mir Schweißperlen auf die Stirn, denn ich wusste: Sie riefen mich, und sie wollten mich wiedersehen.
Lichtjahre später kamen Botschaften von zierlichen Kindfrauen aus Asien. Die offerierten ihre Dienste auch gern im Duo oder gleich als Großfamilie. Die bienenfleißigen Lotusblumen wurden wiederum von kräftigen Körpern mit osteuropäischen Namen verdrängt, deren Triebhaftigkeit wie Peitschenknall in meinem Postfach widerhallte: Olga, Tamara und Natascha suchten mich.
Die Damen müssen in der kalten Heimat ihre Meister gefunden haben. Denn nun meldeten sich junge deutsche Frauen, die mich sofort und auf der Stelle vernaschen wollten. Susi, Sabine und Simone wussten genau, wo gerade mein Laptop stand. Tippte ich meine Artikel in Berlin, winkten sie aus der Uckermark, textete ich in Dresden, stöhnten sie aus der Sächsischen Schweiz. Sie pirschten näher, ich fühlte mich wie ein Kaninchen in der Falle: Die Jägerinnen umkreisten mich.
Bald streckten »Geile Frauen aus der Nachbarschaft« ihre lackierten Fingernägel nach mir aus. Ihre hemmungslosen Näherungsversuche erinnerten mich an Berichte aus der Nachkriegszeit, als fast alle Männer im Feld um zweifelhafte Ehren kämpften und jedes noch so kleine Schwänzchen in der Heimat heiß begehrt war. Es brodelte um mich herum, es knisterte und zischte, und ich erwog einen heimlichen Umzug in eine unbehauste Gegend.
Ging ich fortan zum Briefkasten, zum Bäcker oder zum Zeitungsmann, dann schaute ich mich vorsichtig um, ob vielleicht irgendeine rattenscharfe Renate aus dem Nebenhaus spritzte, um sich auf mich zu stürzen. Nach Sonnenuntergang verriegelte ich Fenster und Türen meines Palastes und schloss blickdichte Vorhänge, um vor den lüsternen Blicken der notgeilen Brut geschützt zu sein. Sogar meine Autofenster ließ ich für teures Geld mit undurchsichtigen Folien verkleiden, damit ich unerkannt die Garage verlassen und zum Zahnarzt fahren konnte.
Das waren noch goldene Zeiten, als Onkel Wumba aus Kalumba überschüssige Millionen offerierte. Ich war seinerzeit so tief ergriffen von seiner Selbstlosigkeit, dass ich ihm sogar ein Buch widmete. Und lang, lang ist´s her, dass der Viagra-Mann und seine eifrigen Assistenten an meine Tür pochten, um meinen Schniepel mit Wunderpillen und Zauberkraft auf Gardemaß zu bringen. Diese Herren waren echte Gentlemen und kümmerten sich um mich und meine Defizite im Säckel und Slip.
Jahre sind ins Land gezogen. Viele Weggefährten sind alt, krumm und grau geworden. Nur ich bin so jung und knackig wie immer. »Forever Young« steht auf meiner digitalen Pforte – doch Hoppla: Plötzlich kommen keine Mädels mehr und wollen mich auf ihre Lotterbetten locken.
Statt mit spitzem Frischfleisch werde ich seit geraumer Zeit mit gleißenden Armbanduhren überhäuft. »Edel-Zeitmesser« werden in Hülle und Fülle offeriert. Ein »Reiches Sortiment von feinen Armbanduhren, die den populaersten Brandartikeln gleich sind« und »Kopien von Zeitmessern: genaue Zeitrechnung und Fine aussehen« (was immer das ganz genau bedeuten soll) werden mir angetragen. Ob die Spammer mein Baujahr überprüft haben und darauf ihre Angebote abstimmen? Ausgeschlossen ist es nicht, schließlich stehen wir alle splitternackt im Netz.
Dabei hasse ich es, Uhren zu tragen: Chronometer drücken, sind lästig, klappern und erinnern mich unerbittlich an die verrinnende Zeit. Dafür Geld auszugeben, käme mir nie in den Sinn, jedes Handy bietet heute einen Zeitmesser, der mir genügt.
So klage ich mein Leid in den digitalen Raum und benenne laut die ungerechte Behandlung. Es meldet sich eine Leidensgenossin. Sie bekommt ständig Post von willigen jungen Mädchen, hat aber noch nie eine Uhr angeboten bekommen: »Warum werden mir immer ›geile Hausfrauen‹, ›willige Blondinen‹ oder ›stöhnende F*ckweiber‹ angeboten,« schreibt sie, »ich habe daran wirklich keinen Bedarf. Trage aber Armbanduhren. Vielleicht sollten wir die Accounts tauschen?« –
»Zeiten ändern sich, und wir werden in ihnen geändert« heißt es so schön. Oder, um bei diesem delikaten Thema den Bildungsbürger heraushängen zu lassen: »Tempora mutantur, nos et mutamur in illis ...« Jetzt weiß ich, wie das verstanden sein will: Lass uns die Accounts tauschen! Ich will keine Armbanduhren. Ich will lieber wieder Sex!
Illustration von Martin Rathscheck