15.07.05

Wilhelm Ruprecht Frieling

Beim Herrenfriseur
(Briefe aus Palma, II)

Es ist schwül in Palma. Aus jedem Hausflur dröhnt ein Presslufthammer. Staub und Schweiß legen sich als klebriger Film auf Haut und Haare. Meine Lockenpracht will den aktuellen Temperaturen entsprechend gestutzt werden. Es geht zum Friseur.

Leute, die eine Schere halten können, locken in der »Ciutat« wie die Einheimischen ihre Hauptstadt nennen, an jeder Ecke. Meist sind es Jet-Set-Figaros wie Udo Walz und andere Stars derer von und zu Kamm und Schere. Bei ihnen kann sich jeder nach den Regeln der Saison gestalten und seinen Typ auf den neuesten Look bringen lassen. Das erfordert bisweilen ein kleines Vermögen. Ich suche hingegen einen echten spanischen Herrenfriseur, und den gibt es in der Altstadt nur noch im Lonja-Viertel.

Der »Peluqueria de Caballeros« wie die abgeplatzte Inschrift über seinem Herrensalon informiert, ist mein Mann vom Fach. Ich öffne eine mit Plakaten beklebte Glastür, betrete das Kabinett des Coiffeurs und grüße höflich. In dem kleinen Geschäftsraum von vielleicht zehn Quadratmetern stehen rechts vor einem Spiegel zwei Behandlungsstühle mit Lederpolstern, deren dunkel glänzende Patina von Legionen geschorener Kunden erzählen. Auf einem der Stühle sitzt ein älterer Mann mit schütterem Haar, der gerade vom Meister mit einem Handtuch abgetupft wird. Auf der linken Seite verstauben vier Bugholzstühle, die Wartenden vorbehalten sind. Da ansonsten kein Kunde in Sicht ist, nehme ich Platz. Zu meiner Erbauung liegen ein Haufen zerfledderter Zeitschriften unbestimmten Alters sowie Reste einer Tageszeitung herum. Der Fußboden ist verziert mit Haaren, Papierfetzen und betagtem Schmutz.

Der Peluquero legt bereits letzte Hand an den Herrn im Stuhl. Er trocknet ihm das Gesicht nach erfolgter Rasur ab und sprüht ihn abschließend duftig ein. Der Mann erhebt sich, lacht entspannt und brummelt einige Brocken eines plebejischen Mallorqui, dem ich entnehme, er müsse wohl leider noch zahlen. Dabei lacht er mich diebisch an, kramt in der Hose nach Münzen und drückt sie dem Maestro in die Hand. Zum Abschied läßt er einen würzigen Südwind fahren, grinst noch einmal, wünscht uns beiden einen »Guten« und entschwindet.

Der Meister fächelt mit einer Serviette über den Stuhl, wendet das schwere Lederpolster und klopft einladend auf den Sitz. Jetzt bin ich an der Reihe. Ich nehme auf dem Möbel Platz und werde in einen einstmals garantiert weißen Kittel gehüllt. Von einer Rolle Krepp wird ein Stück Papier abgerissen und mir als Krause um den Hals geschlungen. Dann legt der Señor Friseur los.

Bei dem Figaro handelt es sich um einen leicht schmuddelig wirkenden Herrn Ende fünfzig mit grau gelocktem Haar. Eine abgebrannte Kippe zwischen den Zähnen und sein Dreitagebart verleihen ihm eine gewisse männliche Verwegenheit. Sein blau gestreiftes Oberhemd quillt am Bund aus einer dunkelbraunen Hose. Auf einer schmalen Ablage zwischen Spiegel und Operationsstuhl sind Utensilien seiner Kunst verstreut: Rasiermesser, Pinsel, Bürsten, Scheren und eine Vielzahl flieder- und rosafarbener Flakons. Der Chef und sein Etablissement scheinen vor Jahrzehnten stehen geblieben und aus der Zeit gerutscht zu sein. Da dieses Unternehmen eine reine Männerdomäne ist und niemals von Weibspersonen betreten wird, passen sich Operateur und Operierte vielleicht einander an und spiegeln sich schließlich. Wer blickt schon in die Seelentiefe eines Friseurs?

Beflissen legt der Experte für das männliche Haupthaar los. Mit einem Zerstäuber sprüht er mich ein, es riecht nach abgestandenem Wasser. Haare waschen fällt damit flach. Dann zieht er einen roten Kamm aus seinem Hemd und kämmt meine Pracht nach vorn. Jetzt gilt es! Es fragt mich auf Katalan, wieviel von der Pracht ab soll, ich antworte in Castellano, es sollten maximal zwei, drei Zentimeter »mas o menos«, »mehr oder weniger« sein. Diese unverbindliche Floskel erklärt auf Mallorca fast alles und ruft stets Freundlichkeit hervor. Spätestens jetzt hat mein Figaro, der bereits schon die Schere ansetzt und lustig schneidet, zugleich meine begrenzten sprachlichen Kenntnisse festgestellt. So verstummt der Dialog, bevor er richtig begonnen hat.

Er greift wieder zum Zerstäuber und wässert mich noch ein wenig. Ich erkläre ihm, meine Kenntnisse des Hochspanischen seien bescheiden, beim einheimischen Katalan müsse ich vollkommen passen. Da wechselt er höflich zum Castellano über. Das macht es mir leichter. Denn auf Mallorca gilt es schon als persönlicher Erfolg, wenn der Einheimische dem Fremden in Spanisch statt in knarrendem Katalan oder mümmelndem Mallorqui antwortet. Wir einigen uns auf touristische Themen. Der Figaro lobt die Strände und meint, in der Stadt gäbe es weniger »monumentos«. Da zähle ich Kirchen, Museen und die vielen anderen Monumente Palmas auf. Frieling, alter Schnarchhahn, du bist bei einem Herrenfriseur! Der ist als Gebärdendolmetscher besser geeignet als Friseur. Er meint mit den »monumentos« natürlich »los melones«, die es an den Stränden Mallorcas zu bestaunen gibt, und verdeutlicht das grinsend mit Handbewegungen im Brustbereich ...

Rassel, prassel, endlich ist der Groschen gefallen. Na, klar doch, die »monumentos«. Wir lachen herzlich, und in diesem Augenblick bricht das Eis zwischen dem Außerirdischen und dem Altstadtfriseur. Ich steuere mein Kopfschütteln über die Silikongebirge bei, die sich inzwischen an den Stränden der Insel türmen. Er betont den Schaden für minderjährige Mädchen, die Unterschriften beider Elternpaare benötigten, bevor sie sich die Brüste vergrößern lassen. Aber für ihn als Spanier zählt letztlich die Optik, und die sei eben »monumental«.

Kurz verschwindet der Meister zwischenzeitlich und kehrt mit einem Quast voll warmem Seifenschaum wieder, mit dem er meinen Nacken einseift. Ein Rasiermesser wird gezückt und kritzekratze rasiert er mir den Nacken aus. Er rubbelt noch ein wenig, und er kämmt. Schon ist wieder ein Zerstäuber im Einsatz, der mich eindieselt. Bitte schön! Das Werk ist vollbracht. Er entzündet seinen Zigarettenstummel.

Ob er mir auch noch die Hände rasieren soll, fragt der Figaro. – Die Hände? Ich kenne türkische Friseure, die einem mit einem Feuerzeug die spärlichen Haare aus den Ohren flammen. Aber Hände rasieren? Den zarten Flaum, der meine Greifer bedeckt, ist zur Rasur ungeeignet. Hätte ich behaarte Affenpranken, wäre mir an einer diskreten Rasur vielleicht gelegen. So bin ich froh, in dieser Hinsicht ungeschoren den urigen Herrensalon zu verlassen.

Im lauen Sonnenwind der Ciutat trocknet mein Haar von selbst.