15.06.07

Till Frommann

Mein Leben mit Massenmedien (I):
Nächster Halt: Neues Leben

Es ist schlimm, aber wahr: Mein Leben besteht aus Alltag, und mein Alltag besteht aus Massenmedien. Fernsehen, Radio, Internet, Zeitungen, Magazine. Alles. Willkommen bei meiner ganz persönlichen Massenmedienberieselung, die ich diesen Monat über mich ergehen lassen habe.

Donnerstag, 3. Mai

Alles neu – und das seit erst zwei Monaten. Und es ist nicht nur die neue Stadt.

Es ist der neue Job.

Die neuen Kollegen.

Die Freunde, die ich in der alten Stadt zurückgelassen habe, aber zum Glück gibt es moderne Kommunikationsmittel – und, natürlich, auch Brieftauben und Rauchzeichen, wer es nicht ganz so modern mag.

Willkommen in meinem neuen Leben – und dafür musste ich nicht einmal auswandern, wie es die Protagonisten der Dokusoap »Mein neues Leben« um 20 Uhr 15 auf Kabel Eins machen. Gut, es ist ein neues Bundesland, in welchem die Menschen kommunikationsfreudiger sind als in dem, aus dem ich stamme, aber das ist auch nicht besonders schwierig, weil es sich bei meiner Heimat um Niedersachsen handelt.

Ach, was für ein altmodisches Wort: Heimat. Und natürlich klingt da Kitsch mit. Als ich dort war, wollte ich weg, weil ich dachte, dass ich fast jede Straße kennen würde und mir meine Heimatstadt keine Überraschung mehr bieten könnte. Jetzt, wo ich weg bin, würde ich am liebsten zurück. Aber so ist das nun einmal: Das Leben ist immer neu und das jeden verdammten Tag.

Freitag, 4. Mai

Als ich heute aufgewacht bin, dachte ich: Das muss die Lüftung aus dem Bad sein. Die Lüftung aus dem Bad muss das sein, dachte ich mir. Doch es war die Baustelle draußen auf der Straße, von der ich dachte, dass sie längst abgebaut sein müsste, weil es in den vergangenen Tag so ruhig gewesen ist. Gut, es war nicht so laut wie in Los Angeles, aber laut war es trotzdem, und aufgewacht bin ich auch von diesem widerlichen Lärm.

Heute läuft um 20 Uhr 15 »Rush Hour« auf Sat 1 Comedy. Jackie Chan und Chris Tucker jagen Verbrecher im lauten, lauten Los Angeles.

Gut, dass es bei mir nicht so laut ist wie dort, dachte ich heute Morgen im Halbschlaf. Dass es bei mir nicht so laut ist wie in Los Angeles, finde ich wirklich sehr, sehr gut. Außerdem haben meine kleine Seitenstraße und irgend eine beliebige Straße in dieser amerikanischen Metropole relativ wenig gemeinsam. Wenn ich mich jedoch ganz stark konzentriere, müsste ich irgendwo, ganz weit hinten, den »Hollywood«-Schriftzug erkennen können. Ganz bestimmt.

Dienstag, 8. Mai

Und manchmal reicht es mir mit dieser schrecklichen Dauerberieselung. Heute zum Beispiel ist so ein gottverdammt schrecklicher Fernsehtag, der sich dafür anbietet, mit diesem ganzen Mist aufzuhören, weil absolut nichts Interessantes läuft. Also los: Kein Fernsehen mehr. Kein Radio mehr. Keine Zeitungen. Keine Zeitschriften. Ab heute schalte ich ab. Voll und ganz.

Manchmal habe ich diesen ganzen Medienrausch, diese Dauerdesinformation, ganz einfach sowas von über.

Vielleicht habe ich aber auch einfach bloß übertrieben. Manchmal habe ich – ohne Lautstärke – ferngesehen, habe dazu Radio gehört, habe gleichzeitig im Internet gesurft und dabei immer wieder in einer Zeitung und einem Magazin geblättert. Das macht ganz schön hibbelig, und vielleicht habe ich mir auf diese Art und Weise ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom antrainiert. Ich gebe zu: Ich bin und bleibe mediensüchtig.

Und deswegen bleibt mir nichts anderes übrig als zuzugeben, dass ich heute Abend höchstwahrscheinlich doch wieder vor dem Fernseher versacken werde. Ich weiß nur noch nicht, was ich sehen werde. Wahrscheinlich werde ich mich von einem langweiligen Programm zum nächsten zappen und mich danach vollkommen fertig fühlen, so, wie es mir schon ganz oft passiert ist.

Ja, dieses Durchgezappe ist Stress. Ich weiß.

Samstag, 12. Mai

In China essen sie Hunde, und im Iran könnten bald Atomkraftwerke und/oder -bomben stehen, wer weiß das schon so genau. Manchmal wünschte ich mir, ich würde mich nicht nur nicht für Medien in aller Form interessieren, sondern ebenfalls nicht für Politik. Manchmal wünschte ich, ich würde von diesem ganzen erschreckenden Mist überhaupt nichts wissen.

Manchmal wäre ich gerne ignoranter. Politik?, würde ich mich fragen, und ich würde mir antworten: Interessiert mich nicht. Keine Ahnung, wer gerade Kanzlerin ist.

Heute Abend werde ich übrigens ohne Probleme den Film »Nuklear-Anschlag: Die Bombe im Atomkraftwerk« auf RTL2 ignorieren.

Dienstag, 15. Mai

Tausend Belanglosigkeiten ergeben noch lange keine Substanz. Das gilt für dieses hingekrickelte Halbgare hier, und für das Fernsehprogramm gilt es sowieso.

Altbekannte Gesichter.

Altbekannte Geschichten.

Altbekannter Fernsehalltag.

Schön eigentlich. Ich mag das Belanglose, das meistens jedoch ziemlich unterhaltsam und ziemlich spannend ist. »Dr. House« um 21 Uhr 15 auf RTL zum Beispiel. Oder direkt danach »Monk«. Das ist belanglos, aber großartige Fernsehunterhaltung. Oder »Extreme Activity« um 20 Uhr 15 auf Pro Sieben: Belanglos, kindergeburtstagig, aber trotzdem grimmepreisig – und unterhaltsam.

Manchmal sind tausend Belanglosigkeiten besser als irgend etwas, was vorgibt, Substanz zu besitzen.

Mittwoch, 16. Mai

Ich sehe ins Fernsehprogramm und finde – nichts. Nichts Interessantes, was man heute anschauen könnte. Ich sehe genauer hin und finde – natürlich wieder einmal Fußball. Das Finale des Uefa Cups auf Sat 1. Natürlich.

Wenn Fußball ist, ziehen die anderen Fernsehprogramme die Köpfe ein. In Deckung! Die Zuschauer werden eh Sport gucken und nicht uns, werden sie sich denken. Früher hatte ich ebenfalls Angst vor Bällen, und diese Angst habe ich heute glaube ich immer noch, ich komme nur nicht mehr in die ungünstige Lage, Fußball spielen zu müssen, so wie ich es beim Schulsport tun musste.

Wunderbar, dass die Schulzeit vorbei ist, jetzt muss ich mich wenigstens nicht mehr vor riesigen, gefährlichen und blaue Flecken verursachenden Bällen in Acht nehmen.

Donnerstag, 17. Mai

Ich wandere einen Berg hinauf, und dann wandere ich den Berg wieder hinunter, weil ich mich verlaufen habe. Eine unglaublich abgegriffene Metapher eigentlich auf das Leben und den ganzen Rest, aber so ist es nun einmal manchmal, das Leben: abgegriffen nämlich, und man verläuft sich hin und wieder auch in irgend etwas.

Heute läuft um 23 Uhr 15 der Spielfilm »Was nützt die Liebe in Gedanken« auf dem ZDF, der sich so anhört, als wenn er sehr empfehlenswert sein könnte. Zwei Männer suchen darin laut Filmbeschreibung den »höchsten Punkt im Lebens.«

Auf den höchsten Punkt des Berges bin ich nicht angelangt – aber ich bin ja auch noch jung, nicht wahr?

Freitag, 18. Mai

Und manchmal sind mir hierfür die Titel der Fernsehsendungen viel wichtiger als der Inhalt. Heute zum Beispiel – die angeblich romantische Komödie »Noch einmal 20 sein ...« um 20 Uhr 15 auf der ARD. Ist bestimmt Mumpitz. Herzschmerz, Rotz und Wasser heulen und so weiter und so fort.

Aber noch einmal 20 sein! Wäre doch super. Nächste Woche werde ich 29 Jahre alt.

Jedes Jahr derselbe Mist. Immer werde ich älter, dabei fühle ich mich noch eingermaßen jung. Und bin ich das? Jung? Ein Blick in den Spiegel. Noch ein Blick in den Spiegel. Und noch einer.

I pack my case. I check my face.
I look a little bit older.
I look a little bit colder.

Alles trivialer Kram, der einem einfällt, wenn einem wieder einmal bewusst wird, dass man nicht ständig verdrängen kann, wie alt man bereits geworden ist. Und Nasenhaare habe ich jetzt auch schon.

Samstag, 19. Mai

Alles ganz schön wehleidig hier, was? Ich bin einsam. Ich bin alt. Ich bemitleide mich selbst. Ich grummele. Ich kotze meine Deprimiertheit ins Internet. Auf Dauer kann das ganz schön nervig sein.

Heute läuft um 20 Uhr 15 »Der total verrückte Bugs Bunny Film« auf Super-RTL. Das wird bestimmt sehr lustig.

Ha. Ha.

Dienstag, 22. Mai

Gut, dass man nicht weiß, was einen morgen erwartet, man würde nicht aus dem Bett aufstehen wollen vor lauter Alltäglichkeit, die einen schon im Vorfeld angrinst. Dabei sind es doch die kleinen Dinge und nicht die großen Ereignisse, die den Alltag großartig machen.

Heute läuft um 20 Uhr 15 der großartige Spielfilm »Frequency« auf Kabel 1, in welchem ein Vater, der bereits vor dreißig Jahren gestorben ist, mit seinem Sohn per Funkgerät Kontakt aufnimmt – Signale aus der Vergangenheit direkt in die Gegenwart. Eine Gesprächsverbindung, die nicht einmal die Deutsche Telekom erklären könnte, aber das Großunternehmen scheint ja nicht einmal durch seine eigenen Tarife durchzusteigen. Und wie war das noch gleich mit dem Service?

Und schon passiert das, was nicht passieren sollte: Der Sohn versucht, die Vergangenheit und den Tod seines Vaters ungeschehen zu machen. Zukunft. Vergangenheit. Gegenwart. Alles entweder bereits geschehen, gerade für einen ganz, ganz kurzen Augenblick augenscheinlich oder noch gar nicht passiert.

»Und alles, was ist, dauert drei Sekunden. Eine für vorher, eine für nachher, eine für mittendrin.«

Nein, ich möchte gar nicht wissen, wie alltäglich meine Zukunft – oder schon der nächste Tag! – sein wird. Ich möchte genießen, wie es ist und mir (ja, das ist kitschig, aber so ist es nun einmal) nicht die Vorfreude nehmen lassen.