20.08.07

Magdi Aboul-Kheir

Agadou und die Symbiose des Schreckens

Treffen sich zwei Kühe.
Sagt die eine: »Muh«.
Sagt die andere: »Wollt ich auch gerade sagen.«

Sind die Kühe in diesem Uraltwitz miteinander verheiratet? Meine Frau sagt nicht »Muh«, aber sie sagt »Agadou«. Beziehungsweise singt sie es. Das ist sehr schlimm, und zwar aus folgendem Grund: Wir sitzen am Frühstückstisch, bei Milchkaffee und Schinkenbrot, unterhalten uns über dies und das, vor allem aber über jenes, da kommt mir aus heiterem Himmel ein Einfall. »Wir könnten mal wieder im Gasthof ›Zum Hirschen‹ essen gehen.« In dem Moment, als ich das sage, säuselt mir ein entsetzlich dämlicher Ohrwurm durchs Hirn: »Agadou Dou Dou«. Das ist nicht weiter schlimm (nun, ist es vielleicht doch), aber just da öffnet meine Frau ihren Mund und hebt an: »Agadou Dou Dou Dou / Push the Pineapple / shake the tree. / Agadou Dou Dou Dou / Push the Pineapple / grind coffee.«

Woher um alles in der Welt kommt die blöde Saragossa Band – sie möge doch bitte in den Annalen der Popgeschichte verrotten – plötzlich her? Und vor allem: Weshalb gibt sie gleichzeit in Gestalt meiner Frau und meiner inneren Stimme ihr so unerwünschtes wie erschreckendes Comeback? Und ausgerechnet, wenn wir über den Gasthof ›Zum Hirschen‹ sprechen? Der hat mit »Wildgulasch nach Ahnenrezeptur« und Cordon Bleu zu tun, hingegen rein gar nichts mit »Agadou«. Es gibt keine Assoziationskette, die Sinn ergibt oder nachvollziehbar erscheint. Im Gasthof ›Zum Hirschen‹ findet sich noch nicht einmal Toast Hawaii auf der Karte, was ja immerhin in Bezug zu »Pineapple« stehen könnte. Fehlanzeige. »Agadou Dou Dou«, singt meine Frau fröhlich und mir schallt es schmerzhaft durchs Hirn.

Was für ein gleichgelagerter Synapsendurchbrenner hat sich da in unserer Ehe ergeben? Seelenverwandtschaft? Kann man vergessen, meine Frau bevorzugt McDonalds, ich Burger King. Telekinese? Meine Frau bringt mir noch nicht einmal ein Bier, wenn ich lechzend daran denke. Zufall? Solche Zufälle gibt es nicht, oder ich spiele ab morgen Lotto.

Ehepartner, die viel Zeit miteinander verbringen, die sich nah sind, verwandte Geschmäcker und ähnliche Sensibilitäten haben, mögen oft Gleiches denken. Sie sehen einen Nachbarn und stöhnen zugleich auf: »So ein Depp.« Sie gehen ins Kino und sagen danach unisono: »So ein Blödsinn.« Aber denken sie an ein gutbürgerliches Speiselokal und kommentieren das beide mit »Agadou«?

Führt die Ehe tatsächlich entweder zwangsläufig in die Scheidung, in den Stumpfsinn oder in die Symbiose? Diese Frage zermartert mich, während mein Blick durchs Fenster fällt. Auf der Dachloggia des Nachbarhauses tummelt sich das dort residierende sehr nette Ehepaar. Durch allerlei Markisen, Balken und Holzlatten ist dessen Terrasse nicht von außen einsehbar. Zumindest glauben dies die beiden Bewohner – während meine Frau und ich sie von unserem Frühstücksplatz aus beobachten. Denn die Loggia ist unter einem bestimmten Blickwinkel, den wir zufälligerweise einnehmen, wenn wir am Esstisch sitzen und unsere Hälse recken, trotz der Latten und Balken doch recht gut einsehbar.

Die beiden Nachbarn – für gewöhnlich sind sie begeisterte Träger von Funktionskleidung und weißen Overalls – tragen an diesem Morgen offenkundig wenig Textilien. Es ist der Anbeginn eines warmen Sommertags, und wenn die beiden es wünschen, können sie ihren Milchkaffee und ihr Schinkenbrot, wahlweise Hagebuttentee und Marmeladenbrötchen, natürlich auch splitterfasernackt zu sich nehmen.
»Die sind ja wirklich recht nackig«, vermeldet mein Frau nach eingehender visueller Prüfung.
Da ich der Weitsichtige von uns beiden bin, kontrolliere ich den Befund. »Du hast recht«, sage ich, »sie trägt wirklich keine Unterhose.«
»Woher willst du das wissen?«, entgegnet meine Frau. »Von ihr sieht man doch nur den Oberkörper!«
»Wieso, sie sitzt doch links.«
»Sie links? Das ist doch er.«
»Ich sehe da eindeutig einen Busen.«
»Ja, klar, einen Busen seh ich auch. Aber ist es seiner oder ihrer?«

Aus der Entfernung sind die beiden wirklich nur schwer auseinanderzuhalten. Auch abgesehen von der ihrer Vorliebe für den gleichen Kleidungsstil (wenn sie gerade mal nicht nackt sind). Es handelt sich um zwei gut erhaltene Mittsechziger, die nahezu gleich groß sind und den gleichen nachlässigen Topfschnitt ihrer weißen Haare favorisieren, den sie sich wohl gegenseitig beibringen. Eigentlich sehen sie aus wie Geschwister. Wie Zwillinge. Ehepartner als Zwillinge? Der Gedanke erschreckt mich angesichts der aktuellen Agadou-Entwicklung in meiner Ehe zutiefst. Es geht offenbar sowohl um eine mental-seelische Symbiose als auch um einen physiologische Annäherungsprozess.

»Ist dir schon mal aufgefallen, dass sich viele Paare im Laufe der Zeit immer ähnlicher werden?«, fragt meine Frau jetzt auch noch.
»Edmund und Karin Stoiber vielleicht«, sage ich gereizt, »aber Johannes Heesters und Simone Rethel nicht.« Uncharmant ergänze ich: »Im übrigen will ich, versteh mich nicht falsch, nicht eines Tages so aussehen wie Du.«
»Du bist aber schon auf dem besten Weg. Immerhin bist Du nicht mehr so dick wie früher«, sagt sie, die Schlanke.
Ich gehe ins Bad und hole das Siebchen aus dem Ablauf der Dusche. »Und dir gehen Haare aus«, sage ich, der Glatzkopf.

Ich sehe mich schon in zehn Jahren an die Tür gehen, weil es geklingelt hat. Draußen steht der Postbote, schaut mich an und sagt: »Ist Ihr Mann auch da?«
Dann kommt meine Zwillings-Frau hinzu und wir singen spontan: »To the left – to the right / Jump up and down and to the knees / Come and dance every night / Sing with the hula melody. / Agadou Dou Dou ...«